Die erste entspannte Nacht an Bord ist vorbei – vom Westkap war nichts zu spüren, und Torvik als erster Hafen liegt noch ruhig in der ersten Andeutung der Morgendämmerung. Viel ist nicht zu sehen: Ein paar Häuschen, und bei der Anfahrt noch eine hübsch beleuchtet Brücke. Torvik hat außer ein paar Häuschen nicht viel zu bieten, während Ulsteinvik mit über 6000 Einwohnern sich als Lichtermeer am gegenüberliegenden Ufer bemerkbar macht – wenn es in Frühjahr oder Herbst schon hell ist, übersieht man die Stadt leichter als jetzt. In Torvik machen wir nur einen kurzen Stop, ich bringe die Kamera zurück in die Kabine und kümmere mich um das Frühstück – bei knapp unter 0° hält mich wenig draußen, wir haben immerhin die kälteste Nacht in Norwegen seit 25 Jahren: Im nordnorwegischen Inland waren es -43,5 Grad. Dagegen ist es hier kuschelig warm.
Nach dem Frühstück machen Kai und ich es uns in unserem Büro vor dem Restaurant gemütlich – ein paar Tips für Ålesund geben. Das wird auch gut genutzt, dazu kommt noch die Info, dass die Ausflugsbusse wegen Glätt die Aussichtspunkte nicht anfahren können. Klingt eisig… vor lauter Gesprächen verpasse ich fast die Ankunft um 9:45 – also Kamera schnappen und Foto machen, dann noch ein bisschen Flagge zeigen und dann ab in die Stadt.
Grund zur Hektik besteht nicht: Seit einigen Jahren gilt das ganze Jahr über der selbe Fahrplan, sodass wir zehn Stunden in Ålesund liegen – nach der überstürzten Abfahrt aus Bergen gestern kommt jetzt Kreuzfahrtfeeling auf. Ein ganzer Tag in einem Ort – aber die Zeit fehlt uns morgen in Trondheim. Außerhalb des Winterfahrplans machen wir in dieser Zeit einen Abstecher in Hjørund- oder Geirangerfjord, im Winter liegen wir stattdessen nur im Hafen. Keine Ahnung, ob der Geirangerfjord im Winter gesperrt ist und im Hjørundfjord wegen Glättegefahr keiner das Dörfchen Urke erkunden darf, jedenfalls fährt jetzt nur ein altes, kleines Schiff als Ausflug in den Hjørundfjord.
Also Spikes einpacken und ab in den Ort. Mein erster Weg führt mich am Sund vorbei durch das Jugendstilzentrum und weiter zur Kirche neben der markanten gelben Schule, und dann noch ein paar Meter weiter zum Aussichtspunkt Storhaugen. Ohne Spikes (und zwar die guten) geht hier nichts, mit Spikes ist es kein Problem, auf den kleinen Berg zu kommen, dort auf der Eisplatte zu stehen und den Blick auf die Stadt samt Hausberg Aksla zu werfen. Regelmäßige Leser dieser Reiseberichte wissen, dass die Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts abgebrannt war und nicht zuletzt mit deutscher Hilfe wieder aufgebaut wurde. Ein Denkmal an den Kaiser unterhalb des Aksla erinnert noch daran; der 2. Weltkrieg machte die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern dann wenig später zunichte – die Wehrmacht hinterließ in Nordnorwegen verbrannte Erde, und im Hafen erinnert ein Denkmal an die Flucht vieler Schiffe nach England, mit den “Englandsfarten”. Mittlerweile sind die Beziehungen zum Glück wieder gut…
Vom Storhaugen gehe ich zurück zum Schiff, mit einem Abstecher zu den Einkauszentren. Ich habe von zuhause eine Einkaufsliste mitbekommen, und meine Vorräte muss ich auch noch auffrischen. Auf dem Schiff werfe ich ausnahmsweise einen Blick auf das Mittagsbuffet, das ich normalerweise ausfallen lasse – aber in paar Happen Lachs und Eis sind doch drin.
Dann eine kleine Pause und ein Blick in die neue Hurtigruten-App: Solange man im Schiffs-WLAN ist und eine Kabine hat, kann man hier den Fahrplan und eventuell auch das Tagesprogramm abrufen, das auch auf den Fernsehern läuft, die jetzt in jeder Kabine sind. Deutsches Fernsehen gibt es hier nicht, nur norwegisches, aber dafür noch ein paar Infoseiten. Alles für die Umwelt – aber seit es das nur noch digital gibt, kriege ich von den ganzen Veranstaltungen nichts mehr mit. Da bin ich wohl zu altmodisch, der Fernseher in meiner Kabine ist auch meistens aus. (Soll ich bei der Gelegenheit noch über die nervigen Touchscreen-Monitore in modernen Autos lästern?)
Dann gehe ich noch einmal in den Ort – meine Wetterapp meint, es wäre heute bedeckt, aber wenn die Wolken so ein strahlendblauer Himmel bleiben, ist die Fahrt gerettet. Sonnenuntergang auf dem Aksla wäre doch was, oder?
Nö – die Treppenstufen den Berg hoch sind gesperrt. Zu der Säule, die an Kaiser Wilhelm erinnert, kommt man, aber nicht weiter. Also schaue ich mir den Stadtpark mal näher an – wenn man rechts um den Berg geht, kommt man zu einer alten Bunkeranlage und der Via Ferrata auf den Berg hoch – dieser Klettersteig wäre mit entsprechender Ausrüstung sogar geöffnet. Aber da braucht man mehr als ein paar Spikes…
So ganz lässt mich die Idee mit dem Sonnenuntergang noch nicht los – es gibt ja den Waldweg hoch auf den Berg. Aber naja – die Treppen finde ich zwar, und sie sind nicht gesperrt, aber auch nicht wirklich passierbar. Mit Spikes würde man zwar hochkommen, aber nicht unbedingt auch wieder runter. Zumindest nicht heil… und die steile Straße, die zu den Treppen führt, ist auch schon heftig genug.
Also drehe ich um und suche das Ålesund Museum. Die Reste von Silvester sind noch gut zu sehen, von Altglas bis zu Böller-Batterien. Hier wurde gut gefeiert. Das Museum liegt auf einem kleinen Hügel, ist deutlich besser erreichbar und bietet auch einen netten Ausblick.
Dann noch ein Blick in den Fluchttunnel unter dem Berg: Die Bilderausstellung vom letzten Besuch ist weg, und jetzt zieren ihn zwei Sprüche. Um An attempt to turn this is the way it is into this is the was it was zu verstehen, brauche ich ein bisschen. Mit Satzzeichen wäre es einfacher: An attempt to turn “This is the way it is” into “This is the was it was” wäre einfacher gewesen. Noch ein Blick in die Läden, und dann beende ich den Aufenthalt und kehre aufs Schiff zurück. Keine schlechte Idee: Ich mache es mir auf Deck 7 bequem, komme mit den Gästen ins Gespräch und kann die ersten Kameras einstellen. Mittlerweile habe ich auch meinen ersten Vortragstermin: Morgen Abend um 19:45 Uhr. Das kann ja was geben…
Die Schiffsveranstaltungen – das tägliche Gathering mit dem Expeditionsteam – ignoriere ich, bis zum Abendessen um 18:30 gibt’s genug zu tun. Und die Hurtigrute ist zum Glück kein Kreuzfahrtschiff, auf dem man von Entertainern gejagt wird. Um 20 Uhr kommen Kai und ich dann endlich dazu, unsere Gäste zu begrüßen: Mit dem Welcome-Drink und ein paar kleinen Infos im Konferenzraum. Dann: Ab auf Deck 7, Flagge zeigen, Kameras vorbereiten (wobei das Handy heute oft die bessere Wahl ist), die Wetterprognose der nächste Tage studieren (puh – Starkregen für Tromsø, und viel zu viele Wolken, aber das kann sich ja noch jederzeit ändern), während es im Panoramassalon eine Geschmacksprobe aus der Küche gibt, und dann zieht die MS Polarlys in der Dunkelheit an uns vorbei, ohne Ankündigung. Beinahe hätte ich diese Schiffsbegegnung verpasst, so sehe ich sie durch das Fenster und weiß, dass wir gleich in Molde sind.
Also noch kurz die Kamera schnappen und an Deck, wo sich weitere Gespräche ergeben (das schöne an kleinen Gruppen: Man kennt sich besser), und einen kurzen Blick auf Molde werfen. Das Scandic-Hotel glitzer jetzt nicht im Sternenlicht, sondern ist ein dunkler Fleck unter dem wolkigen Himmel. Dann: Bilder sichten, Blog schreiben, und Feierabend machen.