Hurtigrute Tag 4: Bodø & Svolvær

Das Tagesprogramm

Je weiter wir in den Norden kommen, desto länger werden die Tage – zumindest scheint es so, wenn man sich das Programm ansieht. Heute klingelt der Wecker um 7 Uhr, da wir irgendwann zwischen 7 und 8 den Polarkreis überqueren dürften. So dunkel wie es im Dezember ist (es sind nur noch zweieinhalb Wochen bis zur Wintersonnenwende), verspricht das wieder viele verwackelte Bilder der Kugel auf der Insel Vikingen…

Um kurz nach 7 sind wir noch weit genug vom Polarkreis weg, dass ich in Ruhe frühstücken kann, und etwa zwanzig vor acht kommt die Vorwarnung, dass es demnächst soweit ist – tatsächlich überqueren wir den Polarkreis um 7:58 Uhr und 41 Sekunden. Auf Deck 7 gibt es den Interessepunkt dazu, ich bin auf Deck 5, wo keine Glasfront im Weg ist.

Im Nachhinein stelle ich überrascht fest, dass ich die Uhr meiner Kamera zwar korrekt eingestellt habe, meine Bildverwaltung (ON1) aber zu allen Zeiten eine Stunde dazuaddiert… Seltsam und seltsamer.

Praktisch hingegen: Die Kugel ist jetzt komplett beleuchtet! Keine Ahnung, ob sie das in meiner Zeit schon jemals war – jedenfalls sieht man sie jetzt auch ohne den wackligen Suchscheinwerfer vom Schiff. Nett.

Morgenstimmung

Während die Masse zum Frühstück strömt, nutze ich die Zeit, um die Aurora anzuschauen – allerdings nur Aurora, ohne borealis, also die normale Morgendämmerung. Aber die hat hier oben auch ihren Reiz. Arktische Lichtstimmungen, immer wieder schön. Ich bin ja eigentlich der Meinung, dass sich das Aufstehen vor Sonnenuntergang nicht lohnt, aber bei den Zeiten hier oben mache ich eine Ausnahme. Immerhin geht die Sonne ab morgen gar nicht mehr auf.

Außerdem erwische ich die Kong Harald. Auf der südgehenden Hurtigrute ist noch ein Kollege, aber das habe ich irgendwie verpeilt (und er auch) – ich hatte ihn erst am Abend erwartet. Aber das Schiff grüße ich trotzdem.

Die Kong Harald

Dann heißt es Arbeit: Unsere vormittägliche Reiseleitersprechstunde steht an, und ich muss mein Blog vom Vortag noch fertig machen. Heute haben wir wenig zu tun, wobei Bodø auch nicht so die großen Sehenswürdigkeiten hat. Aber ein paar Tips werden wir los, während neben und um 9:30 die nächste Schiffsveranstaltung ist: Am Aquarium vom Bistro werden Königskrabben präsentiert.

Um 10 Uhr kommt dann einer der schönstgelegenen Häfen der Route kommt: Ørnes, das auch noch ausreichend Licht abbekommt, um als Winterwunderland zu überzeugen.

Wir machen hier nur einen kurzen Stop, aber es lohnt sich, an Deck zu bleiben: Eine arktische Zeremonie steht um 10:30 an. Wir feiern die Polarkreisüberquerung, mit Njørd und Polarkreistaufe.

Wie üblich muss Njørd erst herbeigerufen werden – obwohl das Sonnendeck der Polarlys brechend voll ist, muss der Meeresgott doch gut zuhören, um die Rufe mitzubekommen. Schließlich kommt er doch von den Whirlpools hoch zu uns und bahnt sich einen Weg durch die Massen – schlecht für die Fotografen in der dritten Reihe. Es ist praktischer, wenn er auf dem Dach steht und seine Rede hält; so ist er unter uns, und Jan übernimmt die Kommunikation für ihn.

Der Gewinner der Polarkreiswettbewerbs wird bekanntgegeben, er lag nur um eine Sekunde daneben. Zur Belohnung gibt es die Hurtigrutenflagge mit Unterschrift vom Captain und die erste Taufe. Ich gebe meine Fotoversuche auf, es ist zu voll – und ich hatte das Vergnügen mit dem Eis im Nacken und in der Unterwäsche auf meiner ersten Tour.

Außerdem stehen schon die nächsten Termine an: Polarkreistaufe war ab 10:30, ab 11 Uhr werden 20 Minuten lang Briefmarken und Postkarten mit dem Polarkreisstempel abgestempelt, und um 11:30 bin ich mit meinem zweiten Vortrag dran, erzähle etwas über den Mond und gebe ein paar Meteoriten rum. Das Weltall zum Anfassen!

Da wir Bodø um 13:05 erreichen, ist das Zeitfenster für meinen Vortrag klein – wer in Bodø Ausflüge machen will, muss vorher noch essen. Irgendwie wird das Programm auf den Schiffen immer voller…

Bodø liegt fast so schön wie Ørnes, es lohnt sich, die Anfahrt an Deck zu verbringen. Dabei passieren wir nicht nur die Landschaft, sondern auch den Flughafen. Der Flughafen wird aktuell erweitert und verlagert, was nicht zuletzt den NATO-Flughafen hier betrifft, der sich bislang eine Startbahn mit den zivilen Maschinen teilte. Der neue Flughafen soll 2025 fertig werden, damit hat die Stadt wieder mehr Platz, um zu wachsen, während der NATO-Flughafen verlegt wird – die Fliegerstaffeln wurden 2023 nach Ørland bzw. Evenes verlegt. Noch sehen wir die Startbahn, wenn wir die Stadt anlaufen.

Bodø gehörte zu den am stärksten im zweiten Weltkrieg zerstörten Städten und hat dementsprechend ein sehr modernes Stadtbild. Mit anderen Worten: Man muss schon suchen, um die reizvollen Ecken der Stadt zu finden, wenn man mit moderner Architektur nichts anfangen kann – und allein in den letzten zehn Jahren wurde dort extrem viel gebaut. Sehenswert sind vor allem die großen Wandbilder und die Weihnachtsbeleuchtung; dominant neben den Glas-Stahl-Beton-Hochhäusern das Glashaus (das Einkaufszentrum) sowie Rathaus und Domkirche mit ihren Türmen.

Sehr angenehm: Heute ist Bodø fast windstill, sodass man die 15 Minuten Fußweg vom Hafen in die Innenstadt gut zurücklegen kann. Ich drehe meine übliche Runde; neu ist, dass die Gamle Salten im Hafen offen hat und Kaffee und Waffeln anbietet. Das alte Schiff ähnelt denen, die früher aushilfsweise auf der Hurtigrute unterwegs waren.

Gamle Salten

Anschließend gehe ich noch hoch zum Rathaus und zur Domkirche. Letztere ist ein Betonbunker mit freistehendem Glockenturm. Von außen sieht man der Kirche gar nicht an, dass sie innen richtig schön anzuschauen ist. Als ich da bin, legt auch das Glockenspiel los – und wieder einmal frage ich mich, warum große Kirchen so schöne, unaufdringliche Glocken haben, während unsere Dorfkirche einfach nur laut in der Gegend rumrandaliert…

Hinter der Domkirche ist das frisch erweiterte Museum, das sich aktuell ganz auf die Sami konzentriert. Der sehenswerte Part zur Stadtgeschichte fehlt aktuell wohl, und nach dem was ich so höre, überzeugt die aktuelle Ausstellung nicht. Schade eigentlich. Die Stadtgeschichte soll aber wohl nachgereicht werden…

Danach steht auch schon wieder der Rückweg an. Noch ein kleiner Abstecher die Straße entlang bis zu dem Haus mit dem bekannten Nordlicht-Wandbild – es ist von der Kreuzung zwischen Rathaus und Dom schon zu erspähen und gegenüber vom Kiwi. Auf dem Platz war übrigens vor ein paar Jahren der Weihnachtsmarkt; jetzt findet hier nichts statt. Der German Döner mit Tiefkühltomaten und gefrorener Soße ist mir immer noch in Erinnerung; Nordnorwegen ist kein Land für Weihnachtsmärkte im Freien.

Pünktlich zur Abfahrt bin ich wieder an Bord und harre der Dinge: Für die Überfahrt über den Westfjord wurden bis zu Windstärke 7 angesagt, Wellen von hinten und ganz allgemein Rock’n’Roll – aber Rock is dead bzw. verspätet sich zumindest und kommt erst in den Westfjord, wenn wir schon längst in Stamsund sind. Macht aber auch nichts, wenn es mal eine ruhige offene Seestrecke gibt.

Kurz nach 15:30 gibt es den nächsten Vortrag vom Coastal Experience Team über die Reisen der Wikinger (wir bieten derweil wieder Sprechstunde an und sitzen im Gang vor dem Restaurant), um 17:30 folgt das tägliche Gathering mit dem Expeditonsteam, 18 Uhr Essen und mit etwa zehn Minuten Verspätung erreichen wir Stamsund, unseren ersten Hafen auf den Lofoten. Da der Sturm zu spät kommt, legen wir auch problemlos in dem kleinen Hafen an.

Stamsund

Von Stamsund sehen wir nicht viel; diejenigen, die am Wikingerfest teilnehmen, steigen hier aus und nehmen den Bus über Borg nach Svolvær. Der Großteil des Orts liegt hinter dem Berg, und die Anfahrt ist nicht immer ganz einfach – bei Sturm wird der Ort gerne ausgelassen.

Stamsund selbst wurde übrigens 1610 erstmals als “Nebenhof” erwähnt und wurde 1831 zu einem eigenständigen Gehöft – war damals also nicht mehr als ein besserer Bauernhof. 1775 wurde das erste königliche Privileg zur Eröffnung eines Gasthauses in Stamsund erteilt, und 1831 erhielt Ole Myhre die königliche Besitzurkunde für Stamsund, aufgrund eines Gesetzes von 1821, das den Verkauf von überschüssigem Land des Staates und der Kirche vorsah. Er verlegte Häuser von Æsøy nach Stamsund, das damals schon ein bedeutender Fischerort war, der 1827 immerhin von 41 Booten angefahren wurde. Ab 1831 galt Stamsund als eigenständiger Hof mit rund 30 Einwohnern, bis Myhre den Ort 1850 verkaufte, samt Hof, Handelsposten, Gasthaus und zwei Lagerhäusern und Anlegern. Der nächste Besitzer hielt etwas Vieh, musste das Futter aber importieren, da es weder Wiesen noch Felder gab, nur eine steinige Hafeneinfahrt. Danach ging es mit Stamsund immer weiter bergauf: Erst kam ein Dampfkran, um die Fischerboote zu entladen, 1859 ein Leuchtturm (die ersten entstanden auf den Lofoten ab 1856) und 1868 eine Telegrafenstation. 1890 wurde Stamsund dann unter den fünf Kindern des ehemaligen Besitzers aufgeteilt, zu dieser Zeit entstand auch die Straße nach Leknes, der größten Stadt im Süden der Lofoten.

Den großen Aufschwung erlebte Stamsund zu Beginn des 20 Jahrhunderts, als J. M. Johansen den Ort zu einem der wichtigsten Fischerorte der Lofoten machte. Er wurde innerhalb von 30 Jahren zum größten Grundbesitzer der Gegend und baute ab 1889 den Hafen aus, errichtete Fabriken (Fisch, Beton, Guano für Fischmehl und mehr) und neue Fischerhäuser – 1949 wurden die Fischer- und Ruderhäuser zuletzt modernisiert. Heute ist Stamsund für sie bekannt, auch wenn sie von unserem Anleger aus nicht zu sehen sind.

Ich finde es durchaus bemerkenswert, dass ein ganzer Ort noch vor 100 Jahren mehr oder weniger Privatbesitz war und durch einen Mann so sehr an Bedeutung gewann. Heute hat Stramsund etwas über 1000 Einwohner.

MS Midnatsol

Wir machen wie immer nur kurz Halt in Stamsund, bevor es weiter zur Hauptstadt der Lofoten geht – Svolvær, der “Hauptstadt des Lichts”. Als ich vor zwei Monaten selbst hier Urlaub gemacht hatte, gab es nur Kunstlicht statt Nordlicht, und auch heute verbergen Wolken den Blick auf eventuelles Polarlicht. Da wir effektiv nur eine gute halbe Stunde bis zur planmäßigen Abfahrt haben, mache ich lediglich ein paar Schritte von Bord: Am Marktplatz wartet ein Weihnachtsbaum, und Lichtspiele werden auf den Boden projiziert. Auf dem Rückweg haben wir hier mehr Zeit. Kurz vor Svolvær begegnen wir noch der Midnatsol – eines der größten Schiffe der Flotte, die nach einem Zwischenspiel bei Hurtigruten Expeditions (die mehr auf Kreuzfahrt ausgelegt sind) jetzt wieder Linie fährt und die alte Vesterålen ersetzt.

Svolvær verlassen wir mit etwa 20 Minuten Verspätung, wahrscheinlich mussten wir noch auf die Teilnehmer des Wikingerfests warten. Bei der Abfahrt gibt es auf Deck 7 Trolle, Trollknert (keine Ahnung was da drin ist, ich hatte den einmal probiert) und Fiskekake (die Fischbuletten, die schon manchen frustriert haben, der nur Bulette gesehen und sich auf Fleisch gefreut hatte). Besonders viel ist bei der Abfahrt aber nicht los: Es ist ein langer Tag, an Deck recht kalt und windig, und es ist bedeckt – kein Polarlicht.

Troll-Alarm

Irgendwann kommt die Durchsage, dass wir gegen 23:55 den Trollfjord erreichen und der beste Platz am Bug sein wird. Ich halte solange durch und suche mir einen Platz im vorderen drittel des Schiffs auf Deck 5 – direkt am Bug ist es gedrängt voll, und ich lasse den Platz gerne den Gästen, die den Anblick noch nicht kennen.

Wegen Lawinengefahr wird der enge Fjord ab dem Herbst gesperrt, daher können wir nur bis zur Mündung des Trollfjords fahren. Eindrucksvoll sind die hohen Wände und die schneebedeckte Mündung aber allemal. Kurz nach Mitternacht mache ich dann endlich Feierabend.

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