Der Tag beginnt mal wieder mit leichtem Regen und recht frühem Aufstehen: Gegen halb neun begegnen wir der nordgehenden Midnatsol, und kurz vor neun überqueren wir den Polarkreis in der Morgendämmerung. Es ist nicht mehr ganz stockduster, aber scharfe Bilder der Kugel sind eine Herausforderung – und am Bug ist es unangenehm. Zur Abwechslung fahren wir links an der Insel Vikingen vorbei.
Anschließend gehe ich auf Deck 7: Hier findet wieder die arktische Tradition statt, es gibt Lebertran und eine lange Schlange an der Bar, die bei der Polarlys seitlich unter dem Dach ist. Wer brav schluckt, darf den Löffel behalten und bei Bedarf einen Sekt kaufen, um den Lebertran runterzuspülen. Aber einerseits haben wir eh Kaffee-Flatrate, und andererseits ist der Lebertran gar nicht mal so ungenießbar, wie man das früher immer gehört hat. Aber mittlerweile ist die Lebertranproduktion auch etwas verfeinert worden.
Anschließend könnte man die Landschaft genießen, wenn die reizvolle Helgelandküste denn zu sehen wäre: Schwer zu sagen, ob das da draußen Regen, Nebel oder erhöhte Luftfeuchtigkeit ist, aber es ist sehr kontrastarm.
Nesna, unser nächster Hafen, ist kaum auszumachen. Erst als wir schon fast im Hafen sind, ist er am Bug auszumachen. Kein schöner Tag soweit; da kehre ich gerne rasch zu unserer Reiseleitersprechstunde zurück, die in die Liegezeit fällt. Aber man verpasst draußen nicht viel, nur das raue Norwegen mit deutlichen Plusgraden.
In Nesna bleiben wir etwas länger, bevor die Fahrt weiter Richtung Sandnessjøen geht. Am Ausblick ändert sich aber nichts. In Sandnessjøen: Leichter Regen und dichte Wolken, also keine Chance für einen Blick auf die Bergkette der sieben Schwestern. Der Interessepunkt findet daher nicht auf Deck statt, sondern am Mikrofon und über die Sprechanlage – zu sehen gibt es ja eh nichts. “An Backbord können Sie sich die Gipfel der sieben Schwestern vorstellen…”
Dafür gibt es interessantes Mittagessen: Stoßzahn. Keine Ahnung, wer die Übersetzung verbrochen hat. Das kommt davon, wenn man der KI vertraut. Soll aber geschmeckt haben – ich verzichte mal wieder auf das Mittagessen.
Die weitere Fahrt verläuft weitestgehend ereignislos und wird nur das das Gathering mit dem Coastal Experience Team (ich vermisse die alte Bezeichnung Bordreiseleiter) um 14:15 unterbrochen. Bis wir Brønnøysund mit erreichen, ist es schon wieder dunkel.
Bis ich vom Schiff bin, bleiben noch zwei Stunden für den Gang durch das Örtchen – anfangs regnet es noch ordentlich, gegen 16 Uhr lässt der Regen dann etwas nach.
In Brønnøysund gibt es nicht viel zu tun, einmal im Regen zur Mitte Norwegens und warten, bis wirklich alle den Stein fotografiert haben, ein kurzer Gang durch das Einkaufszentrum und dann noch ein Blick in das Terminalgebäude am Hafen: Es gibt wieder Eis und Softeis. Anfang des Jahres machte die Meldung die Runde, es gäbe keines mehr. Die Eismaschine sieht neu aus, aber da es an Bord diesmal genug Eis gab, schone ich meine Kreditkarte, die glüht eh schon. Neue Reifen für mein Auto waren fällig (nein, die kaufe ich nicht in Norwegen – aber die müssten dann da sein, wenn ich wieder zurück bin), und der letzte Gang durch Coop und Kiwi.
Von der Abfahrt in Brønnøysund bekomme ich nicht allzuviel mit – wir sind etwas verspätet, wahrscheinlich warten wir auf den Ausflugsbus. Und dann: Ein sehr pragmatisches Captain’s Dinner. Am Eingang des Restaurants bekommt jeder kommentarlos ein Glas Sekt, wir werden von vier Kellnerinnen begrüßt, und dann gibt es ein 5-Gänge-Menü ohne Ansprache. Bei vier Sitzungen für aktuell noch 250 Gäste wären vier Ansprachen im Halb-Stunden-Takt zu viel; andere Schiffe legen da einfach je zwei Essenssitzungen zusammen. Nun denn: Skål.
Der letzte Halt für heute ist Rørvik, danach geht es auf die Folda. Bis zu vier Meter hohe Wolken sind angesagt, könnte eine unruhige Überfahrt werden. Und der Himmel: ein paar Wolkenlücken gibt es. Um 21:45 werden die Gewinner der Lotterie für die Hurtigruten-Foundation gezogen, zu gewinnen gibt es eine Seekarte, eine Postflagge, eine Schirmmütze der Midnatsol und eine Überraschung, die sehr nach einem Kalender aussieht.
Keine Ahnung, ob die Lotterie lukrativer ist, aber die Bieterschlacht bei der Versteigerung war immer witziger. Auch wenn sich nicht immer für alle Preise ein Bieter fand…
Zwischendurch ist ab und zu der Mond durch die Fenster zu sehen – es wird tatsächlich noch einmal klar auf dieser Reise. Aber nach Rørvik erreichen wir offenes Meer, und es schaukelt zunehmend. Ich schaue immer wieder raus, erst auf Deck 5 Mitte, dann nur noch hinten, wo es dunkler ist, und vor allem geschützter. Irre, was die Seiten vom Schiff an Gischt abkriegen. Aber der Aufenthalt dort an Deck ist trotzdem sportlich und nicht zu empfehlen; ich bin ganz froh, wenn ich mich irgendwo festhalten kann.
Ich schaue so im Viertelstundenrhythmus immer wieder raus, ein paar Unentwegte tummeln sich ebenfalls am Heck. Irgendwann wurde sogar das Licht am Heck ausgemacht; auf Deck 7 stört nur noch die Weihnachtsbeleuchtung.
Gegen 23:20 gebe ich auf – zu viele Wolken, zu viel Gischt, und vor allem zu viele Wellen. Selbst wenn noch etwas kommt: Bei dem Seegang würde ich ungern eine Durchsage veranlassen und die Leute auf Deck hetzen.
Also mache ich Feierabend, gehe in meine Kabine und bereite noch ein wenig unsere Abschiedsveranstaltung vor.
Und höre um 23:45 die Durchsage: Nordlicht, und Vorsichtig sein an Deck. Uff…
Ich muss mir eigentlich nur Jacke und Kamera schnappen und die paar Meter zum Heck gehen, aber als ich da bin, sind nur Wolken zu sehen. Das Deck füllt sich trotzdem flott, und allmählich kommt die Jagdstimmung auf, die mir auf dieser Reise bislang gefehlt hat.
Wie befürchtet ist die See rau, irgendjemand stürzt auch prompt. Mich wundert, dass keine Handys über Bord gehen…
Bis halb eins halte ich durch, dann biegen wir ab und erreichen ruhigere See zwischen Inseln, die vom Mond hübsch geleuchtet werden. Kommentar eines Gasts: So viel Landschaft haben wir den ganzen Tag über nicht gesehen.
Jo, irgendwie streikt Norwegen grad…
Dann geht das Licht an Deck wieder an, und ich streiche auch die Segel. Die Kamera hat eine Dreiviertelstunde Wolken aufgenommen, und morgen früh klingelt der Wecker in Trondheim. Endgültig Feierabend, ohne Polarlichtfotos.