Es geht südwärts, es gibt keine großen Städte oder längeren Aufenthalte mehr, und jetzt kommt der gemütliche Teil der Reise. Könnte man meinen, oder? Pustekuchen, ein Termin jagt den anderen.
Den Anfang macht Harstad. Aber diesmal schmeißt mich die Durchsage über das Telefon nicht aus dem Bett, mein Wecker steht auf 7:45 – zwei Minuten früher! Da bin ich schon oft genug drauf reingefallen, wollte nach Mitternachtskonzert oder Kneipenbummel in Tromsø ausschlafen, und dann kam die Durchsage, die einen in voller Lautstärke aus dem Bett wirft. Aber diesmal nicht – ich bin schon wach! Während sich die Teilnehmer der Vesterålen-Bustour bereit für den Aufbruch machen, schaue ich mir den Hafen an: Die Baustelle vom letzten September ist jetzt fertig, und man sieht sogar noch ein bisschen was von Harstad.
Ein moderner Glas-Beton-Bau ist da entstanden. Auf der anderen Seite vom Hafen schimmert etwas Dämmerlicht über den Bergen, es verspricht ein schöner Tag zu werden.
Von der kleinen Trondenes-Kirche sehe ich diesmal nicht allzu viel – es ist noch zu dunkel, und mit meinem zittrigen Bildstabilisator kann ich Belichtungszeiten über 1/60stel Sekunde vergessen. Keine guten Bedingungen für die Polarnacht, wobei die Sonne in Harstad heute sogar wieder aufgehen sollte.
Aber immerhin: Sie ist deutlich in der Ferne zu erkennen, und mit genug Versuchen ist sogar was brauchbares dabei. Die Kirche ist die nördlichste mittelalterliche Steinkirche, direkt neben ihr ist ein kleines Museum, das die Teilnehmer der Bus-Tour ebenfalls besuchen.
Um 8:30 verlassen wir Harstad, und für uns auf dem Schiff ist um 10 Uhr der nächste Interessepunkt: Die Risøyrinne, die nur rund 7 Meter tiefe künstliche Fahrrinne, die es uns ermöglicht, Risøyhamn anzulaufen. Unser Schiff hat rund 5,5 Meter Tiefgang, die größeren Schiffe (Finnmarken, jetzt Otto Sverdrup, Midnatsol, jetzt Maud, und die Trollfjord, die ihren Namen behalten durfte) sogar noch mehr, sodass die Rinne für sie vertieft werden musste. Jetzt fährt nur noch die Trollfjord gelegentlich auf der Route, die anderen sind für Hurtigruten Expedition unterwegs und fahren keinen Liniendienst mehr, sondern haben wie Kreuzfahrtschiffe längere Aufenthalte in den Häfen, laufen aber nicht alle Häfen an. Dafür starten sie auch mal ab Hamburg.
Bei ruhiger See kann man bis auf den Grund der Risøyrinne sehen; heute sehen wir vor allem die Fahrbahnmarkierungen, die wir anpeilen – fast wie die Landebahn eines Flughafens. In Risøyhamn erinnert der Königsstein mit den Unterschriften dreier norwegischer Könige an die Einweihung der Rinne, und vorher gibt es noch einen absolut wahnsinnigen roten Morgenhimmel.
In Rosøyhamn bliebe diesmal sogar genug Zeit, um kurz rüber zum Königsstein zu gehen, bei Schneeglätte verzichte ich aber darauf. So energisch, wie der Captain vor dem Ablegen die Hupe betätigt, scheint doch irgendwer von Bord gegangen zu sein – aber es kommt niemand mehr angerannt, und wir legen ab.
Dann bleibt etwas Zeit, um die Landschaft zu genießen, und gegen 12 Uhr heißt es ab an Deck: Wir fahren wieder unter der Brücke bei Sortland durch, während die drei Ausflugsbusse über uns hinweg fahren. Also alle Mann an Deck und mit Norwegenfahnen winken. Es ist gar nicht so leicht, gleichzeitig die Fahne zu schwenken und mit der Kamera zu hantieren…
Der tolle Morgenhimmel wurde mittlerweile durch Wolken ersetzt, aber sie stehen hoch genug am Himmel, dass man die Landschaft auf sich wirken lassen kann. Das Mittagessen ist zum Glück immer optional… Themenreise 11 Tage, 11 Kilo.
Kurz durchschnaufen, und wir nähern uns Stokmarknes. Der Busausflug mit Besuch des Hurtigrutenmuseums findet nicht statt, aber es werden an Bord wieder Eintrittskarten für “Fast Lane” angeboten. Mit 100 NOK ist das auch wieder ein realistischer Preis für die Besichtigung der alten MS Finnmarken in ihrem neuen Glaskasten und somit eine Empfehlung wert. Das Museum ist privat finanziert und bietet die Chance für einen Eindruck der alten Hurtigrute, als noch die kleinen schwarz-weißen Postschiffe unterwegs waren. In Stokmarknes wurde auch fleißig gebaut: Neben dem Museum steht ein neues Hotel, der kleine rote Pub ist nun zwischen den neuen Gebäuden eingezwängt.
Direkt nach dem Ablegen steht das nächste Treffen mit dem Expeditionsteam an, und dann geht es ab in den wunderschönen Raftsund, von dem in der Finsternis allerdings nicht viel zu sehen ist – tiefschwarze Nacht um 16 Uhr, mit Schneegestöber als Topping obendrauf. Das hält uns aber nicht davon ab, zur Trollfjordmündung zu fahren und vorher Trollfjordknerz samt Tasse zu kaufen.
Das ist das erste Mal, dass ich hier größere Mengen Eis sehe. Vom Fjord selbst ist nicht so viel zu sehen, auch wenn der Captain sein bestes gibt, um ihn auszuleuchten. Von der Schiffsmitte ist wieder weniger zu sehen, aber das Gedränge am Bug überlasse ich anderen – und unter den Rettungsbooten bin ich besser vor dem Schneegestöber geschützt. Dann geht es weiter durch die finstere Nacht nach Svolvær.
In Svolvær begrüßt uns dichtes Schneegestöber, das aber kurz darauf nachlässt. Während des zweistündigen Aufenthalts gibt es einige Ausflüge, aber alternativ auch genug Zeit, um das Magic Ice mit seinen Skulpturen aus Eis zu besuchen (was für die interessant sein kann, die nicht in Kirkenes im Eishotel waren), das Lofoten-Kriegsmuseum, oder einfach so durch die Stadt zu schlendern. Da der Anker Winterpause hat, gibt es heute keinen Kneipenbesuch, und ich mache nur einen kurzen Gang durch das Stadtzentrum mit der Kirche und den roten Hütten des Scandic-Hotels, bevor ich zurück an Bord gehe und ein spätes Abendessen mitnehme.
Auf der Überfahrt nach Stamsund vertreibt Kristina vom Expeditionsteam uns die Zeit mit drei norwegischen Volksmärchen. Das bekannteste ist das von Askeladden und seinem Wettessen mit dem Troll, dann kommt die Geschichte von der Handmühle, die dem Teufel abgerungen wurde und nun am Grund des Meeres endlos Salz produziert, und zuletzt die Geschichte von des Zwergs Spur Trampelfuß, der die Wege in Norwegen anlegt, genauer die Trampelpfade. Er ging einfach gerade aus, und wenn Bach, Berg oder Moor im Weg war, befahl er ihnen, ihm aus dem Weg zu gehen. Die weigerten sich natürlich, sondern erzählten ihm, wie nützlich sie für seinen Weg sein könnten – für erfrischendes Wasser, gute Aussicht, oder um seine Sorgen im Moor zu versenken. “Ja, glaub nur an die Weisheit der Natur”, dachte sich der Zwerg, und ging dann einfach weiter und integrierte sie in seinen neuen Weg. Und wer schon einmal in Norwegen wandern war, kennt die hiesigen Wanderwege, die auch einmal direkt senkrecht den Berg hochgehen.
Langsam wird die See auch etwas unruhiger, und in Stamsund werfe ich nur einen kurzen Blick an Deck. Ein Leichenwagen fährt an unsere Laderampe – die Hurtigrute verbindet die Küste und begleitet auch manchen Norweger auf seiner letzten Fahrt. Die kleinen Orte haben keine Krankenhäuser vor Ort.
Dann geht es auf den Westfjord – ich mache zur Abwechslung einmal früh Feierabend, das Anlegen in Bodø bekomme ich trotzdem mit. Damit ist die Nacht nicht ganz so erholsam wie gehofft. Hoffnung auf Polarlicht gibt es aber keine – eventuell bei Rørvik noch einmal.