Es ist soweit: Heute Nacht haben wir mit Vardø den östlichsten Punkt der Route passiert, und Vadsø kurz vor 7 Uhr habe ich ebenso verschlafen. Als wir Kurs auf Kirkenes nehmen, bin ich dann auch irgendwann wach. Draußen: Traumhaftes Wetter, rund -10° auf dem Schiff (in Kirkenes sind es dann nur noch ein paar Grad unter Null, mit schöner, trockener Kälte) und Eis auf dem Wasser. So kommt Arktis-Feeling auf!
In Kirkenes staut sich sich dann erst einmal alles vor der Tür: Die Ausflügler wollen ebenso raus wie die Passagiere, die in Kirkenes aussteigen. Und vorher wird noch das Gepäck an Land gebracht – gut, dass ich es nicht eilig habe.
Für alle Ausflüge, von der Husky-Tour über Snowmobile bis hin zur Fahrt an die russische Grenze (zu der auch ein Besuch der Anders-Grotte und der unrühmlichen deutschen Geschichte hier vor Ort gehört) ist es bestes Wetter. Ich entscheide mich für einen Spaziergang in den Ort, aber diesmal “falsch rum”: Zuerst zu dem Aussichtspunkt (einer Kurve über der Stadt), dann kurz in den Ort rein, statt wie gewohnt über die Andersgrotta direkt nach Kirkenes.
In Kirkenes hat sich seit meinem letzten Besuch nicht viel verändert, außer dass mehr Schnee liegt. Die zweite Uhr an der Kirche ist immer noch kaputt, dafür steht ein chinesisches Tor vor ihr. Vielleicht erhält Kirkenes nun eine veritable Chinatown?
Wie die meisten Städte in der Finnmark profitiert auch Kirkenes davon, wenn Schnee liegt (zumindest rein optisch) – gerade bei so reinem Schnee und blauem Himmel wie heute. Den großen Baggern beim Schneeräumen zuschauen ist zumindest für Touristen reizvoll. Ansonsten halten sich die Sehenswürdigkeiten in Grenzen. Einige Statuen und viele Holzhäuser, die beim letzten kurzen Boom der Eisenerzmine renoviert wurden – es ist eine Stadt, die von Werft, Fischerei und gelegentlich Erzabbau lebt.
Auf dem Weg zum Hafen komme ich wieder an den meterhohen Krabbenkäfigen vorbei, mit denen versucht wird, die Königskrabbenpopulation einzudämmen – sie sind von Russland eingewandert (wo sie ausgesetzt wurden) und machen sich nun im Nordmeer breit.
Im Hafen dreht ein kleiner Eisbrecher seine Runden, damit das Eis nicht zu dick wird: Immer wieder kommt das kleine orange-weiße Eisbrecherchen vorbei, der Wellengang sorgt dafür, dass sich keine geschlossene Eisdecke bildet. Auch ein netter Job, so kommen die großen Schiffe gut aus dem Hafen raus. Kirkenes liegt ja ein gutes Stück südlich des Golfstroms und ist vor dem warmen Wasser geschützt.
Wir verlassen Kirkenes kurz nach halb eins mit Kurs nach Norden und sind jetzt die südgehende Hurtigrute. Das Wetter ist perfekt und die See glatt, sodass die Überfahrt nach Vardø ereignislos verläuft. Wir gehen Mittagessen und bieten dann vor dem Restaurant die Reiseleitersprechstunde an, bis ich um 15 Uhr meinen Vortrag über Sternbilder und ihre Sagen halte. Irgendwann kriege ich das Buch dazu auch noch fertig…
Normalerweise halte ich den Vortrag erst nach Vadsø um 17 Uhr, aber diesmal kollidiert das mit Norwegen Land & Leute und den Vorträgen anderer Reisegruppen (südgehend sind immer noch über 300 Passagiere an Bord), daher gebe ich mir mit Björn vom Expeditionsteam die Klinke in die Hand: Bis 15 Uhr belegt er den Vortragsraum mit der deutschsprachigen Einführungsveranstaltung für neue Passagiere, dann stöpsle ich meinen Laptop ein, komplimentiere die Nicht-Gruppen-Mitglieder hinaus und mache meinen Streifzug durch die letzten Jahrtausende.
Um 15:45 bin ich planmäßig fertig, dann sollte die Nordnorge auch in Vardø anlegen. Angesagt wurde es sogar, aber selbst das übliche 16 Uhr wird knapp. Damit bleibt genug Zeit für einen Blick an Deck: Die Barentssee bietet dunkle Wolken und blauen Himmel. Hm…
Ein paar Minuten später hat Vardø sich dann für “Schneesturm” entschieden: Vom Hafen ist nicht viel zu sehen, und ich überlege, ob es sich überhaupt lohnt, zur Festung rüberzugehen. Das Hexendenkmal habe ich aufgegeben – erst um 16:15 öffnet sich die Gangway, und wir können das Schiff verlassen. Die meisten schauen beim Eismeerbaden zu, ein paar Mutige sprinten kurz zur Festung Vardøhus und schießen ein paar Fotos. Vor der Festung wird der Schnee gerade in Rechtecke aufgeteilt… Ich habe irgendwas im Hinterkopf, dass Vardø Schauplatz von einem Schneeballschlacht-Festival wäre. Was meint Google zu dem Thema?
Es gibt die Seite VisitVardo.com, die zuerst einmal empfiehlt: “Experiencing a true Arctic storm should be on everyone’s “bucket list”.” Okay, aber dafür braucht man keinen Turnierplatz. Es ist wohl entweder “Yukigassen – the European championship in snowball fighting” oder eher die “Fortress Games”
Es bleibt bei einer halben Stunde leider kaum Zeit für Vardøhus, aber immerhin ist der Schneesturm vorbei, sodass ein paar Bilder möglich waren. Als ich zum Schiff zurückspurte, kommen die Teilnehmer des Eismeerbadens auch schon zurück. Von Deck 7 aus kann ich noch ein paar Bilder der Stadt schießen. Die zahlreichen Grafitti sind weniger geworden: Vor ein paar Jahren gab es einen Wettbewerb, bei dem abbruchreife Häuser mit Grafitti verziert wurden, die zum Teil sehr gut aussahen, so langsam verschwinden die Häuser wohl Dafür stehen noch ein paar Ruinen ohne Schmuck am Hafen.
Vom Heck aus bietet sich noch ein Blick auf zwei Schwimmbecken: Einerseits der Whirlpool vom Schiff, andererseits das Becken im Hafen für das Eismeerbaden. Ich weiß, was mir da verlockender erscheint…
Anschließend geht es auf die Barentssee, und unser gutes Wetter scheint erstmal vorbei zu sein: Bei (laut windy.com) drei Meter hohen Wellen ist doch gut Bewegung im Schiff, das Restaurant ist weniger gut besucht als bislang.
Båtsfjord (angeblich 39% Bewölkung) erreichen wir mit etwas Verspätung und in einem Schneeschauer, aber immer wieder blitzt der Mond durch. Haben wir vielleicht später Glück?
Vorerst sieht es nicht so aus, auch wenn bei der Abfahrt aus Båtsfjord ein Hauch von Grün auf der Kamera zu sehen ist. Abwarten – alle Prognosen sind gerade pessimistisch, die Polung des Magnetfelds stimmt einfach nicht.
Das Geschaukel sorgt dafür, dass es im Schiff ruhiger wird, den Rest erledigen die Musiker, die mitreisen und im Multe auf Deck 7 mit Geige und Harfe aufspielen. Hans und ich hören uns das einige Zeit an, bevor wir die Flucht ergreifen. Ich suche Ruhe und Frieden im Panoramasalon, wo die Bewegung des Schiffs deutlicher wird. Nicht jeder verträgt das gut… wir haben Gegenwind, sodass auch relativ geringer Seegang sich gut bemerkbar macht.
In Berlevåg, das wir ebenfalls mit einiger Verspätung erreichen, sieht es schlecht aus. Dafür kann man dem Gabelstapler zuschauen, Fracht wird gelöscht und aufgenommen. Mehr als ein Hauch von Polarlicht ist nicht zu erahnen.
Feierabend? So ziemlich. Ein bisschen Polarlichtbogen ist zu sehen, aber sobald wir aus dem schützenden Fjord raus sind, nimmt das Geschaukel wieder zu, und ich mache Feierabend.
Dann kommt kurz nach 23 Uhr die Durchsage, dass wir am Bug etwas Nordlicht haben… Also Kamera packen und ab an den Bug – gute Güte. Bei dem Seegang hätte ich keine Durchsage gemacht, das ist schon sportlich. Die einzige Türe auf Deck 5, bei der die automatische Öffnung noch funktioniert, ist auch gesperrt, die anderen sind noch offen. Das Polarlicht ist nett, aber noch nicht die ganz große Show. Dazu kommen immer wieder Wolken, Wolken, Wolken… Nach einer Viertelstunde und einem kurzen Zeitraffer gebe ich auf, gehe ins Warme, Bilder kopieren, und bis Mitternacht immer wieder mal rausschauen. Bleibt wohl so.
Die Strecke von Berlevåg bis Mehamn schaukelt gut, liegt aber auch schön im Polarlichtoval. Als kurz nach Mitternacht die nächste Durchsage kommt, bin ich bereit. Mittlerweile sind alle Türen auf der linken Seite verschlossen, aber ich finde den Weg zum Bug, befestige meine Kamera und werde mit rund 20 Minuten guter Show belohnt: Es gibt zwar nicht die ganz kräftigen Farben (was auch an dem Gischtschleier liegen kann, der vom Bug hochweht), aber ein paar Minuten lang schöne Bewegung: Das Nordlicht tanzt! Sehr chic. Und über die Türen am Heck komme ich sogar wieder in das Innere des Schiffs zurück, uff.
Nach nicht ganz einer halben Stunde ist der Spuk vorbei, und da wir bald in Mehamn ankommen, mache ich endgültig Schluss für diese Nacht. Jetzt dar der Rechner dran. Das Ergebnis: Doch ein netter kleiner Zeitraffer: