Es geht mit großen Schritten südwärts, und wir haben die Barentssee überlebt – auch wenn die, die unter Seekrankheit leiden, sich stellenweise wohl nicht so gefühlt haben, als ob sie es überleben. Aber ab jetzt kommen nur noch kurze offene Seestrecken, das Schlimmste sollte hinter uns liegen.
Ich habe zum Glück keine Probleme mit Seekrankheit, dafür liege ab kurz vor fünf wach und mache mich dann die Bearbeitung der Polarlichtbilder von gestern. Zuhause muss ich einmal einen Vergleich zwischen ON1 und meiner alten Lightroom-Version machen… Jedenfalls läuft ON1 auf dem neuen Rechner schneller als auf dem zehn Jahre alten MacBook Air. Nur bei den Ergebnissen bin ich mir noch nicht sicher, da muss ich noch an ein paar Reglern rumspielen. Aber das waren gestern auch verschärfte Bedingungen, dafür bin ich zufrieden. Dieses Jahr ist die Aurora wirklich nicht kooperativ. Dafür herrschen in Deutschland die winterlichen Temperaturen, die man hier erwartet hat: -10° in Deutschland gegen +2/-5 in Nordnorwegen. Verkehrte Welt.
Wieder Erwarten werfe ich in Havøysund also doch wieder einen Blick raus, während der Laptop die letzten Filmchen bearbeitet, und winke der nordgehenden MS Polarlys zu, die ganz kitschig-romantisch einer Wolkenlücke am Horizont entgegendampft. Beim Frühstück gehöre ich dann zu den ersten. Anschließend mache ich es mir vor dem Restaurant gemütlich und zeige allen interessierten meine Ergebnisse.
Die südgehende Tour vergeht immer wie im Flug, gefühlt ist es ein Tag weniger – aber schließlich waren wir nur gestern Vormittag in Kirkenes, der Rest von Tag 7 gehörte bereits zur Rückfahrt. Große Städte kommen auch nicht mehr: Hammerfest ist das heutige Tageshighlight, und im Vergleich mit Honningsvåg, das Hammerfest den Rang (wenn auch nicht den Titel) der nördlichsten Stadt Norwegens streitig macht, ist Hammerfest auch tatsächlich städtisch. Der Grund ist die Flüssiggasanlage Melkøya, die nicht nur Arbeitsplätze geschaffen hat, sondern auch dafür gesorgt hat, dass sich nur noch die Mitarbeiter die hiesigen Mieten leisten können. Wohl dem, der Eigentum hat…
Unser Anleger ist immer noch auf der Fuglenes-Halbinsel. Der Umbau des Hafenbeckens hätte zwar 2023 beendet werden sollen, aber es dauert wohl etwas länger. Wer in die Stadt will, hatte bis gestern Abend einen Platz in einem der Transferbusse buchen können; mit dem abgelegenen Anleger lohnt sich aber auch die Stadtrundfahrt einmal wirklich. Ich nutze die Gelegenheit und statte der Meridiansäule meinen wahrscheinlich letzten Besuch ab: Meine nächste Tour ist erst im Dezember, und bis dahin ist der Hafen hoffentlich fertig. So gehe ich mit Kai und einem Drittel unserer Gruppe durch den kniehohen Schnee zur Meridiansäule. Kai erzählt uns derweil etwas von den Änderungen der letzten zehn Jahre, über das Schulsystem (immerhin gehen wir über den Campus der weitergehenden Schule, die an die zehnjährige Schule anschließt, die alle Norweger besuchen, und am ehesten mit einer Berufsschule vergleichbar ist) und die ganzen Neubauten – von den Wohngebäuden am Hafenbecken bis zum neuen Krankenhaus, dass Richtung Melkøya entsteht. Immerhin über die Meridiansäule und Struves Vermessungsprojekt erfahre ich nicht viel neues.
Ein paar Meter weiter durch den Schnee kommen wir dann zu der alten Schanze, die vor über 200 Jahren nach dem Überfall zweier englischer Fregatten während der napoleonischen Kriege errichtet wurde und jetzt wieder eine von ursprünglich sechs Kanonen beherbergt. Der einfache Erdwall wurde nie benötigt – die Engländer kamen nicht wieder (bzw. jetzt als zahlende Gäste z.B. mit der Hurtigrute), und beim Einmarsch der Wehrmacht war die Schanze längst veraltet und verlassen. Sie wurde erst vor wenigen Jahren zum Stadtjubiläum wieder hergerichtet. Davor ist das kleine Freilichtmuseum mit ein paar alten Gebäuden von Melkøya.
Dann kehren wir langsam zurück – uns bleibt noch eine Viertelstunde, um uns Plätze im Restaurant zu sichern, bevor die Transferbusse zurück kommen. Viel Zeit bleibt da nicht für einen Stadtrundgang durch Hammerfest. Ich verzichte wieder auf das Mittagessen und widme mich lieber dem Feinschliff von meinem letzten Vortrag – um 14:45 geht es um Sternbilder und ihre Mythen, direkt im Anschluss an das tägliche Treffen mit dem Expeditionsteam, während sich das Tageslicht draußen schon wieder verzogen hat. Kurz vor 16 Uhr und dem Anlegen in Øksfjord bin ich fertig mit dem Vortrag.
Und dann war es das eigentlich schon für mich – die Wetterprognose für die nächsten Tage sieht schlecht aus, vielleicht haben wir vor Rørvik noch eine Chance. Es ist trotzdem ganz gut, dass ich mit den Vorträgen durch bin – die nächsten beiden Tage haben viele kleine Häfen, und morgen sind einige unserer Gäste bei der Bustour durch die Vesterålen dabei. Aber das heißt natürlich nicht, dass ich mich jetzt auf die faule Haut lege. Viel freie Zeit gibt es hier für niemanden, das ist keine Erholungsreise … selbst in der Polarnacht wird es hier nicht langweilig. Es gibt viel zu sehen, und als Vielfahrer kann ich fast so viel über die Orte entlang der Route erzählen wie manch Reiseleiter – wobei ein Urgestein wie Kai natürlich in einer ganz anderen Liga spielt.
Nach Øksfjord geht es raus auf die Loppa, aber das alte Sprichwort “Loppa macht Hoppa” bewahrheitet sich zum Glück nicht. Ich verpasse nur den Vortrag über Wale in Norwegen, den das Schiff kurz nach mir hält – schade eigentlich, denn nach Walen werde ich immer wieder gefragt. Aber gut, so sortiere ich Fotos und bereite noch ein bisschen was vor.
Das war es dann eigentlich auch schon für heute: Nach dem Abendessen legen wir in Skjervøy an, wo es leichtes Schneegestöber hat, und die Begegnung mit der nordgehenden Havila schenke ich mir, weil der Schneefall deutlich stärker wird. Dann lieber noch ein bisschen bloggen, und entspannen. Die Nacht war doch zu kurz.
Gegen 22 Uhr gibt es oben in der Bar noch ein Quiz rund um Norwegen und die Hurtigrute – aber da enthalte ich mich genau wie beim Fotowettbewerb. Wäre vielleicht doch etwas unfair… A propos Foto: Der künstliche Horizont meiner Nikon funktioniert wieder. Geht nichts über eine robuste Kamera.
Tromsø erreichen wir pünktlich kurz vor Mitternacht im Schneegestöber. Ich bin nach der kurzen Nacht etwas groggy und entscheide mich gegen einen Kneipenbummel – bei dem Wetter lohnt sich auch eine Fotoexkursion nicht. Zu viel Schnee vor der Linse, aber trotzdem hübsch anzuschauen. Einfach mal genießen… Daher mache ich Feierabend und hoffe, dass Tromsø irgendwann mal wieder freundlicheres Wetter bietet. Morgen früh steht schon wieder Harstad auf dem Programm – mal sehen, wie weit die Baustelle dort am Hafen mittlerweile ist.