Genau um 1:33 Uhr haben wir den Polarkreis überquert – aber ich glaube nicht, dass da jemand an Deck war. Sektverkauf gab es jedenfalls keinen, und gehupt wurde auch nicht. Bei tiefster Nacht macht es auch keinen Spaß, die Kugel zu fotografieren, das hebe ich mir für den Rückweg auf.
Der Morgenhimmel mit einer Mischung aus Wolken, klarem Himmel und Regen am Horizont ist ohnehin viel eindrucksvoller. Der heutige Seetag führt uns entlang der Küste Richtung Tromsø, wobei wir den Raftsund nicht durchqueren. Stattdessen wird es an Ramstad, Fjelldal und Sandstrand vorbei gehen, und in einigem Abstand auch an Harstad vorbei. Der Tjeldsund ist das wohl.
Vorher steht natürlich noch das Ereignis des Tages an: Die Polarkreistaufe. Um 11 Uhr versammeln sich alle auf Deck 8, Neptun wird herbeigerufen, und Anita in ihrer Funktion als Tourguide des Schiffs liest seine Rede vor. Anschließend: Eis für alle!
Für die Erstüberquerer des Polarkreises ist es eine Riesen-Gaudi (nach der der warme Whirlpool richtig verlockend ist), die Vielfahrer fragen sich eher, ab der wievielten Polarkreisurkunde man die Ehrenbürgerschaft in Njörds Reich erhält. Und während Eis verteilt wird, hält sich an backbord wacker ein Teil eines Regenbogens.
Wer will, kann anschließend Briefmarken zur Polarkreisüberquerung kaufen und sich einen Film über Tromsø als Tor zur Arktis anschauen.
Davon abgesehen verläuft unser zweiter Seetag ruhig; wir haben genug Zeit für unseren vierten Vortrag um 14 Uhr. Während wir uns Tromsø nähern, geht es im Tiefflug zu den Planeten des Sonnensystems. Acht Planeten plus jede Menge Kleinkörper sind einfach zu viel, um sich eingehender mit ihnen zu beschäftigen.
Mittlerweile gibt es auch Neuigkeiten zu unserem kurzen Aufenthalt in Tromsø: Wir werden gegen 18 Uhr ankommen und bis etwa 23:30 bleiben, also sogar noch länger als üblich. Außerdem gibt es für uns einen kostenlosen Shuttlebus zur Seilbahn hoch auf den Hausberg Storsteinen. Polaria oder Mack Brauerei konnten sich leider nicht zu verlängerten Öffnungszeiten überreden lassen, und die meisten Läden machen um 18 zu. Auch Tromsøs Greatest Souvenir Shop hat reguläre Öffnungszeiten bis 18 Uhr angekündigt, auch wenn er angeblich länger offen hatte. Der älteste Souvenirshop in Tromsø wurde übrigens 1999 gegründet, nachdem der Eigentümer im Lotto gewonnen hatte… Da wir den ersten Bus auf den Storsteinen nehmen, fällt diesmal ein Besuch aber ohnehin flach.
Die neue Seilbahn auf den Berg läuft butterweich und geisterhaft leise; es ist fast unheimlich, wie wir durch die Nacht gleiten. Oben hat sich bis auf die vergrößerte Besucherplattform nicht allzu viel geändert, und wir haben einen grandiosen Ausblick auf die Lichter der Stadt. Während der üblichen Liegezeiten gibt es diese Chance nicht.
Ein paar Minuten später bewahrheitet sich wieder einmal: Tromsø geht immer. Durch ein paar Wolkenlücken sehen wir eine schöne, helle Aurora tanzen. Letztlich sind die Wolken aber stärker, und wir nehmen die Gondel nach unten in die Stadt. Der Shuttlebus fährt fast bis auf das Autodeck der Finnmarken, und wir gehen zum Abendessen in die Stadt. Das arktische Buffet muss ohne uns auskommen, und bei Bewölkung haben wir ohnehin frei.
Gegen 22 Uhr – normalerweise wären wir jetzt kurz vor Skjervøy – geht es noch einmal durch die Stadt zum Hafen, die Speicherhäuser fotografieren. Dabei ein Blick nach oben: Graugrünliche Bänder, die sich auch noch bewegen – Polarlicht! Also nichts wie zurück zum Schiff, vorbei an den ganzen Fotografen, die ihre Kameras am Kai aufgebaut haben. Noch bevor wir die Finnmarken erreichen, hören wir schon die Durchsage, dass von Deck 8 Polarlicht zu sehen ist.
Oben erwarten uns schon begeisterte Gäste und die Frage, ob wir das auch gesehen haben. Nun, immerhin die anderen haben eine schöne Show gesehen; als wir oben sind, lässt es schon wieder deutlich nach. Hauptsache, die Gäste sind zufrieden und glauben uns, dass Polarlicht nicht nur ein Grünschimmer ohne nennenswerte Strukturen ist. Wenn wir planmäßig abgefahren wären, dürfte es außerhalb von Tromsø noch beeindruckender gewesen sein…
So treffen wir immerhin noch auf die Spitsbergen, das neueste Schiff der Hurtigrute. Es fährt im Winter anstelle der Midnatsol, die gerade in der Antarktis unterwegs ist. Viel los ist auf ihr jedoch nicht.
Die Route nach Skjervøy lohnt sich wieder: Zwar ziehen wieder einige Wolken auf, aber zwischen ihnen tanzt das Polarlicht immer wieder schön hervor. Bis kurz vor zwei Uhr können wir es vom Bug aus beobachten. Noch stehen die Liegestühle an Deck, sodass es bei Temperaturen um den Gefrierpunkt eine angenehme Nacht wird. Immer wieder blitzt sie hell auf, aber nie lange – für eine Durchsage lohnt sich das nicht, und nach der Show im Hafen dürften alle erst einmal gesättigt sein. Immerhin: Das Polarlicht ist hell genug, dass ich Belichtungszeiten von 1,5 Sekunden ausprobiere und erfolgreich Bilder mache, wenn auch recht verrauscht. Aber der Zeitraffer sieht schon mal vielversprechend aus, und ich muss meine zweite Speicherkarte anbrechen – die ersten 128 Gig sind voll…