Gestern hatten wir einen traumhaften Tag, und heute wache ich völlig sinnlos im leichten Schneetreiben kurz vor sieben Uhr auf. Das bedeutet: Ich sehe Vadsø einmal aus der Nähe.
Lohnt sich nicht wirklich…
Draußen ist es bedeckt und trüb, und im Dämmerlicht macht der Hafen nicht viel her. Wir liegen im Industriegebiet, die Wohnhäuser liegen auf der anderen Seite vom Hafen. Vadsø ist immer nur ein kurzer Stop und der einzige Hafen, den wir nur nordgehend anlaufen – nach Kirkenes am Ende des Varangerfjords sind es keine zwei Stunden mehr, das würde sich nicht lohnen, hier heute Nachmittag schon wieder anzulegen.


Die Überfahrt Richtung Süden nach Kirkenes ist wenig spektakulär, draußen ist es diesig-neblig. Perfekt zum Frühstücken, während die Passagiere, die hier aussteigen, ihre Kabinen räumen müssen. Für Kirkenes habe ich keinen Plan – nur mal kurz in den Ort gehen, um mir die Beine zu vertreten (kein Fehler, auch wenn ich normalerweise auf das Mittagessen verzichte). Irgendwann muss ich mal die Tour zur russischen norwegischen Grenze machen, aber diesmal auch wieder nicht. Und die Hundeschlittentour samt Eishotel und Rentiere-Gucken ist zwar nett (außer, wenn man selber schon mal gefahren ist), aber ohnehin immer ausgebucht.
Also einmal kurz durch Kirkenes: Es gibt nichts neues seit Dezember. Nur vor dem Kiosk ist wieder eine Reihe Plüsch-Huskies samt Schlitten aufgebaut. Ich mag die.






Zurück an Bord ist es kurz kurz nach 12 – heute gibt es eine partielle Sonnenfinsternis, aber bei den Wolken? Ja, tatsächlich – die Wolkendecke ist dünn genug, dass man die teilweise verfinsterte Sonne ohne SoFi-Brille sehen und fotografieren kann. Ohne Wolken ginge das nur mit geeignetem Sonnenfilter. Wer mehr darüber wissen will, ich habe gerade ein neues Buch zum Thema herausgebracht, schließlich sind in den nächsten Jahren gleich zwei totale SoFis in Spanien. So ist das Ereignis für das Auge nett anzusehen, während die Kamera zu kämpfen hat, um bei den wechselnden Wolken eine brauchbare Belichtung hinzukriegen. Die Kombination Teleobjektiv und schwankendes Schiff, das gerade ablegt, macht es nicht einfacher. Aber der Nachweis gelingt, und sah mit dem Auge ähnlich aus:



Derweil legen wir ab und fahren bei ruhigster See nach Vardø. Ich kümmere mich noch einmal um meinen letzten Vortragstermin und nehme spontan den heutigen Abend – für die nächsten Tage ist seitens des Schiffs auch abends wieder einiges geboten, morgen könnte es noch unter Umständen noch einmal klar werden, und heute Abend ist die See ruhig – also gibt es meinen letzten Vortrag spontan schon an Tag 7 um 20:15. Wobei man das auch nicht unterschätzen darf – wir haben zwar heute den Wendepunkt erreicht, bringen bis zum Ende der Nacht aber die ganze Barentssee samt Magerøya-Sund hinter uns, und bis Trondheim sind es nur noch drei Tage. Am Trondheim-Tag steht auch schon unsere Abschiedsveranstaltung an, und am letzten Tag geht es Non-Stop nach Bergen, da ist auch kene Zeit mehr für Veranstaltungen. Das ist gar nicht schlecht, dass ich jetzt schon durch bin
Für 15:30, also noch vor Vardø, macht das Expeditions-Team noch einen Interessepunkt: Tier- und Vogelbeobachtung. Die Insel Hornøya nahe Vardø ist Norwegens östliches Fleckchen Erde und ein Vogelparadies, dementsprechend viele Vögelschwärme gibt es hier. Angeblich auch Papageitaucher, aber aus dem Fenster kann ich nicht erkennen, ob welche dabei sind – und bis ich an Deck bin, sind da alle möglichen Vögel zu sehen, aber weder Papageitaucher noch Wale, die sich hier auch immer wieder rumtreiben sollen. Dafür kommt es mir kälter vor als gestern Nacht in der Barentssee. Brrr…



Und für Vögel bräuchte ich ein stärkeres Teleobjektiv.
Trotz ruhigster See erreichen wir Vardø wieder einmal leicht verspätet. Also: Nur einmal kurz zur Festung gehen und das Hexendenkmal aus der Entfernung betrachten. Jetzt sieht man den langgestreckten Bau immerhin, der an die Hexenverbrennungen im 17. Jahrhundert erinnert, der auch viele samische Schamanen zum Opfer fielen. Wenn man schon dabei ist…
Heute ist Vardø friedlich, und auch der Wohlstand des frühen 20. Jahrhunderts ist Geschichte. Vor dem kalten Krieg betrieb die Region regen Handel mit Russland, da der Golfstrom hier für Fischbestände sorgt, die es in Murmansk nicht gibt – dafür kamen aus Russland Pelze. Im Kalten Krieg endete diese Ära, und durch den Krieg gegen die Ukraine ist der Handel heute auch wieder zum Erliegen gekommen. Harte Zeiten für Nordnorwegen.






Dementsprechend verlassen ist Vardø: Viele Häuser stehen leer, und auch einige Ruinen, die vor mehreren Jahren in einem Kunstwettbewerb mit Graffiti verziert wurden, sind mittlerweile verschwunden. Trotzdem gibt es hier noch einige schöne alte Häuser und zahlreiche Graffiti – nur Zeit hat man dafür keine. Auch für das Hexendenkmal bleibt nur selten Zeit, da wir immer zu spät sind.
Nach Vardø geht es auf die offene Barentssee. Zumindest behauptet Marinetraffic das, und die Häfen passen auch, aber das Meer ist sowas von ruhig, dass es auch ein Ententeich sein könnte. Es ist praktisch keine Bewegung im Schiff, und draußen ist es gleichmäßig bedeckt, sodass ich in aller Ruhe meinen Vortrag nach dem Abendessen halten kann.
Und das war es eigentlich auch schon: In Berlevåg schaue ich noch einmal kurz raus, wie wir anlegen – über uns sind ein paar kleine Wolkenlücken, eine Handvoll Sterne und ansonsten dichte Wolken. Besser wird es heute auch nicht mehr – Zeit für Feierabend. Dank Sommerzeitumstellung wird die Nacht eh kurz genug.