Hurtigrute Tag 7: Kirkenes

Das Tagesprogramm

Die Nacht war ruhig: Kein Sturm auf der Barentssee, keine schlimmen Wellen, aber auch kein Sonnensturm – unter der dichten Wolkendecke sind wir nordlichtfrei bis Vardø gefahren, wo wir laut Marinetraffic den Anlegeversuch wohl abgebrochen haben.

Vadsø wollte ich eigentlich verschlafen, aber kurz vor acht sind wir immer noch da. So kann ich zumindest noch ein Foto von unserer Abfahrt machen. Warum wir da fast eine Stunde Verspätung angehäuft haben? Keine Ahnung. Jedenfalls fahren wir mit Verspätung durch den Varangerfjord und erreichen Kirkenes erst gegen 9:45.

Wir sind fast wieder auf der Höhe von Tromsø, aber viel weiter im Osten und abseits vom Golfstrom – wirklich kalt ist es trotzdem nicht, gerade mal um die null Grad. Immerhin liegt Schnee…

Da hier einige Ausflüge stattfinden, wird unsere Liegezeit um eine halbe Stunde bis 13 Uhr verlängert. Neben dem Ausflug zur russischen norwegischen Grenze gibt es auch die Schlittenhunde-Tour, die einem gleichzeitig die Chance bietet, einen Blick in das Eishotel und das benachbarte Rentiergehege zu werfen. Das lohnt sich mehr als die reine Schlittenhunde-Tour in Tromsø, bei der man nichts von der Stadt mitbekommt. Die Teilnehmer waren davon auch angetan, nach dem, was ich so gehört habe.

Auf dieser Tour habe ich keine Ausflüge geplant, mein Weg führt mich wieder in die Stadt. Runde 15 Minuten dauert es, bis man von dem ausgedehnten Hafen in das Stadtzentrum kommt. Auf dem Weg liegen die bekannten Sehenswürdigkeiten – mit gut 3500 Einwohnern ist Kirkenes ja auch nicht so groß. Das Russendenkmal erinnert an den zweiten Weltkrieg, als die Russen als Befreier willkommen geheißen wurden, da sie die deutsche Wehrmacht zurückdrängten. Die Andersgrotte bot der Bevölkerung Schutz und kann heute im Rahmen des Ausflugs zur russischen Grenze besucht werden. Am Marktplatz erinnert ein Denkmal an die Familien, die zurückblieben. Und vor der Kirche steht der Kleinbus, der gegen den russischen Überfall auf die Ukraine protestiert. Die Zeiten ändern sich…

Das Verhältnis zu Russland ist hier natürlich spannend, da es um die direkte Nachbarschaft geht. Ich bin mir nicht sicher, wie offen die Grenze noch ist, aber bislang konnten die Einwohner im Grenzgebiet frei über die Grenze und auch einkaufen. Viele Mitarbeiter der Kimek-Werft zum Beispiel sind Russen – und die Werft hat ernste Probleme seit den jüngsten Russland-Sanktionen, da sie davon lebt, russische Fischtrawler über Wasser zu halten. Das klappt nicht immer – Ostern 2021 kenterte der Frachter Melkart nach einer Reparatur und blockierte den Zugang zur Werft, was eine Massenentlassung zur Folge hatte, bis das Wrack beseitigt war und die russischen Eigner Schadensersatz zahlten, nachdem die Schuldfrage geklärt war. Und mit den neuesten Sanktionen wäre die Werft auch am Ende gewesen: Zwei Trawler lagen zur Reparatur, und ohne diesen Auftrag wäre Kimek bankrott. Per Sondergenehmigung durften sie doch fertig gestellt und bezahlt werden…

Aktuell dürfen russische Fischer legal nur in Tromsø, Båtsfjord und Kirkenes anlegen und Ladung löschen. Die Gründe snd kompliziert – einerseits gibt es Russland-Sanktionen, andererseits ist das Ökosystem (in diesem Fall Ökologie und Ökonomie) auf die Fischerei eingestimmt, und ohne würden Fische angeblich abwandern – zumindest hat es Karsten vom Expeditionsteam so erklärt. Wie dem auch sei, unter den Sanktionen leidet die Kimek-Werft extrem, da ihre größte Einnahmequelle auf einmal weg ist. Die Werft in Båtsfjord hat 2023 einen Auftrag von der Marine erhalten und darf das Küstenwachschiff „Harstad“ reparieren – ein Versuch, Arbeitsplätze in der Gegend zu halten. Kimek fehlt diese Unterstützung aktuell. Auch wenn Kirkenes als östlicher Außenposten von Norwegen und NATO wichtig ist – ohne Arbeitsplätze fehlt die Bevölkerung.

Thors Frisbee…

In Kirkenes merkt man von der Krise nicht viel: Die Straßen sind eigentlich immer ausgestorben, wenn ich da bin. Vormittags arbeiten die Menschen entweder, oder sind bei dem Wetter zuhause. Nur im Amfi-Einkaufszentrum ist etwas Betrieb; die Renovierungsarbeiten sind abgeschlossen und einige Läden haben gewechselt. Das Outdoor-Outlet im Erdgeschoss gibt es weiterhin, den Outdoorladen im ersten Stock nicht mehr. Thors Hammer als Frisbee gefälligst? Oder doch lieber Küchenbedarf oder etwas schickere Kleidung für den Abend? Lesestoff in der Ark-Buchhandlung?

Das Amfi ist gut sortiert und bietet eigentlich für jeden etwas.

Ich drehe meine Runde weiter, werfe noch einen Blick auf den Rathausplatz mit den beiden Bären und gehe dann zurück zum Schiff.

Auf dem Rückweg am Hafen entlang gibt es neben Hotels einige Fahrzeughändler (neben der VW-Vertretung gibt es auch Schneebobile und Wohnwagen); immer wieder eindrucksvoll ist das rote Haus, das auf einen alten Bunker gebaut wurde.

Spareland am Hafen

Am Hafen noch ein Besuch bei Europris, Spareland und Kiwi – vor mir redet jemand Russisch und bezahlt bar; der grenznahe Handel funktioniert wohl noch.

Ich bin rechtzeitig genug auf dem Schiff, um noch kurz im Restaurant vorbeizuschauen, bevor es voll wird und die Ausflugsbusse zurück kommen.

Kurz nach zwölf ist es schon überraschend dunkel – aber wir sind so weit im Osten, da könnten wir eine andere Zeitzone verwenden. Norwegen liegt ziemlich quer auf der Landkarte… Andererseits haben auch Spanien und die Bretagne MEZ; dort geht die Sonne jetzt allmählich erst auf.

Kurz nach 12 Uhr Mittags in Kirkenes

Der Rest des Tages ist ruhig, und wir legen mit noch etwas mehr Verspätung kurz nach 13 Uhr ab, für eine ruhige Überfahrt nach Vardø. Um 12:45 gibt es die Sicherheitseinweisung für neu eingestiegene Gäste und um 14:30 eine Ausflugspräsentation; um 15:15 einen englischen Blick hinter die Kulissen der Polarlys und um 15:15 meinen letzten Vortrag: Sternbilder und ihre Mythen. Die Wetterprognose, die ich immer mit einbaue, ist leider mies – Wolken in Berlevåg, Wolken in Skjevøy, und Starkregen in Svolvær. Und das nennt sich Winter in Norwegen.

Vardø erreichen wir natürlich nicht pünktlich – es wird kurz nach 16:30, bis wir in der östlichsten Stadt Norwegens anlegen. Da bleibt keine Zeit für die kleine Festung Vardøhus und erst recht keine für das Hexendenkmal; außerdem ist es draußen glatt. Kein Wunder bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt…

Nachdem wir Vardø pünktlich verlassen, gibt es um 17:15 wieder das tägliche Gathering, bevor das Abendessen ruft. Am Abend zeigt das Schiff einen Film über das Nordlicht, wenn es schon nichts zu sehen gibt. Über uns: Wolken. Nicht mal Schnee liegt auf unserem Deck… Gegen Mitternacht gibt es eine gewisse Chance auf klaren Himmel, es wird also eine lange Nacht. Aber das Polarlichtoval gibt sich auch keinerlei Mühe.

Ich pendle zwischen Kabine, dem Außendeck und später auch dem Multe-Cafe auf Deck 7, aber spätestens nach Berlevåg ist Ruhe auf dem Schiff eingekehrt – ich bin fast alleine da oben.

Gegen Mitternacht schaue ich noch einmal raus: Da sind tatsächlich ein paar Wolkenlücken. Bis ein Uhr wird es sogar eher noch klarer, und einige Unverzagte sind an Deck und halten ebenfalls Ausschau nach einem Hauch von Grün – aber die Aurora ist im Bummelstreik und lässt sich nicht blicken. Kurz Mehamn streiche ich auch die Segen und gehe ins Bett.

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