Hurtigrute Tag 7: Kirkenes

Der Tagesplan

Und schwupps ist es schon wieder so weit: Wir fahren südwärts nach Kirkenes, dem Wendepunkt unserer Reise. Das bedeutet auch, das wir den warmen Golfstrom verlassen und uns in kältere Gefilde begeben. Kirkenes liegt etwa auf der Höhe von Tromsø, hat aber kontinentales Klima mit warmen Sommern und kalten Wintern. -18° Celsius sind für heute angesagt. Brrrr…

Vadsø verpasse ich wieder einmal, auch wenn ich das Anlegen mitbekomme und wach werde. Aber rechtzeitig aus Bett komme ich nicht…

Die Überfahrt durch den Varangerfjord ist ruhig, und draußen gibt es nicht viel zu sehen: Es ist neblig. Der Nebel kommt von dem dampfenden Wasser, der Fjord ist noch eisfrei. Ein bisschen gespenstisch sieht das schon aus. Richtung Kirkenes wird die Sicht wieder besser. Der Himmel über uns: Klar. Das ist die perfekte Polarnacht mit unendlich langer Dämmerung.

Das Außenthermometer vom Schiff zeigt angenehme -12° an – die Nordkapp hat wohl noch Restwärme…

In Kirkenes ist es ruhig. Durch den Ukrainekrieg ist der Handel mit Russland weitestgehend zusammengebrochen, es liegen auch keine russischen Trawler mehr im Hafen, um von der Werft zusammengeflickt zu werden. Die Eisenerzmine hat wohl einen neuen Besitzer, aber den Betrieb auch noch nicht wieder aufgenommen. Harte Zeiten für den Ort am Ende der Welt…

Mit Kai und einigen Gästen mache ich einen Rundmarsch durch die Stadt, an den Spuren der ehemaligen russisch-norwegischen Freundschaft vorbei, die durch die deutsche Besatzung im zweiten Weltkrieg verstärkt wurde. Die Andersgrotte an die deutsche Besatzung, die verbrannte Erde hinterließ, das Russendenkmal erinnert an die Befreiung der Finnmark, und das Grenzkommisariat an den kleinen Grenzverkehr. Heute sieht das schon wieder anders aus, es gibt Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine, und russische U-Boote und kleinere Boote, die im Fjord gesichtet wurden und teils an Land gingen, tragen nicht zum Vertrauen bei.

Aber an einem frostigen Samstagmorgen ist hier ohnehin nicht viel los. Das soll im Sommer ganz anders sein… Seit dem letzten Besuch hat sich hier nicht viel geändert. Jede Menge kleine Holzhäuser, auch in schwarz, die kaputte Kirchturmuhr und die geschmückte Fußgängerzone – nur russische Autos sieht man weniger.

Der Berg ruft…

Gut durchgekühlt erreichen wir dann das Amfi-Einkaufszentrum. Ein Gang durch das Sport-Outlet (neue Taschenlampe besorgen), und dann nichts wie ab zum warmen Schiff. Die Temperaturen laden nicht zum Flanieren ein… Am Schiff wird es spannend: Die Türe ist zu, und die Gangway bildet ein umgedrehtes V: Es geht steil hoch, und dann hinab ins Schiff. Theorie: Das ist, damit die beweglichen Teile der Gangway nicht aneinander frieren.

Ansonsten verspricht es ein ruhiger Tag zu werden. Ina gibt mir den Termin für meinen letzten Vortrag (morgen, um 14 Uhr – also zwei Stunden nach Sonnenuntergang), und die Barentssee soll ruhiger sein als gestern, dafür mit 95% Bewölkung. Diesmal wird das Schiff südgehend auch kaum leerer: Zwar verlassen und wie üblich einige Gäste, aber es steigen fast so viele neu ein – darunter eine englischsprachige Gruppe, die während der Überfahrt nach Vardø die Sicherheitsbelehrung anhören darf. Das anschließende tägliche Gathering um 14:30 überspringe ich wieder.

Zur Abwechslung erreichen wir Vardø fast pünktlich – das würde für einen Sprint zum Hexendenkmal reichen, aber irgendwie fehlt heute die Motivation, Spikes anzuziehen und die Taschenlampe rauszuholen. Stattdessen gehe ich mal wieder in die Festung, deren Fenster rot beleuchtet sind. Überraschung: Hier ist Weihnachtsmarkt, mit zwei Buden und einem Weihnachtsbaum. Mal was neues.

Zurück an Bord steht auch schon der nächste Programmpunkt an, der mich interessiert: Lauras Vortrag über Vardø und die Finnmark bietet mir nicht viel neues, ist aber trotzdem interessant anzuhören. So erfahre ich, dass es wieder einmal einen nördlichsten Baum gibt – der stand ja jahrelang auf der Festung (die in der arktischen Klimazone liegt), ist dann irgendwann trotzdem eingegangen. Vor kurzem hat der örtliche Kindergarten dann eine neue Eberesche gepflanzt, die ich sogar fotografiert habe: Sie steht vor dem weißen Gebäude in der Festung. Der Weihnachtsbaum dürfte dagegen schon tiefgefroren sein…

Dann Abendessen und kein Feierabend: Von wegen 95% Bedeckung. Als ich vor Båtsfjord rausschaue, sehe ich über dem Land zwar nichts außer den angestrahlten Wolken über dem Ort, aber fünf Minuten kommt die Meldung, dass es doch was gibt. Ich hätte auf beiden Seiten schauen sollen…

Also an die Reling mit der Kamera und laufen lassen: Ja, schon nicht schlecht.

Polarlicht vor Båtsfjord, mit der Nikon an der Reling

Mit meiner zweiten Kamera stelle ich mich ans Heck und lasse sie auch als Zeitraffer laufen. Fängt schwach an, wird bis zum Hafen aber besser.

Der Blick vom Heck

In Båtsfjord ist dann erst einmal Pause: Der helle Hafen ist kein guter Platz für Polarlichtbeobachtung. Eine halbe Stunde sind wir im nach Hammerfest zweitgrößten Fischereihafen Norwegens mit immer etwas über 2000 Einwohnern, dann geht wieder auf die angenehm ruhige Barentssee. Das Polarlicht legt noch einmal los und ist heller als zuvor, wenn auch irgendwie unschärfer – ein bisschen Schleierbewölkung ist wohl doch da, aber was macht das schon?

Polarlicht nach Båtsfjord

Irgendwann nach dem Ablegen kommen dann doch Wolken, und ich packe nach einer halben Stunde zusammen – nur, um etwas später wieder aufzubauen. Die nächste große Wolkenlücke kommt kurz vor Berlevåg, noch ein guter Nachschlag. Schließlich erreichen wir Berlevåg, die südgehende Havila Castor macht den Hafen frei, und packe wieder ein. Das war es dann doch wohl, schließlich sollen wir schon längsten unter dichten Wolken unterwegs sein.

Havila Castor

Nein, es gibt keinen Feierabend: Es ist weiterhin klar, und ich gehe nun doch einmal von Deck 5 auf Deck 7: Es ist doch überraschend dunkel – vielleicht hat es Vorteile, dass “Hurtigrutens Chief Aurora Hunter” ebenfalls an Deck ist, auch die neue Weihnachtsbeleuchtung ist noch aus. Dafür bin ich fast alleine. Zur Abwechslung schraube ich meine Kamera ans Deck und bleibe noch ein bisschen.

Es bleibt erst einmal bei einem Standard-Polarlicht – und dann endlich: Bewegung! Ein schöner Vorhang bildet sich und flattert im Sonnenwind. Das will ich sehen, und zum Glück bin ich nicht ganz alleine – zumindest ein Hartgesottener aus unserer Gruppe hat durchgehalten.

Polarlicht vor und nach Berlevåg

Das Timing ist perfekt, kurz darauf sind wir auch unter den angekündigten Wolken, und gegen halb zwölf kann ich Feierabend machen, zumindest an Deck. Mein Laptop darf noch ein bisschen arbeiten.

Was für ein Tag – wenn das Wetter mitspielt, überzeugt diese Polarnacht wirklich!

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