In aller Herrgottsfrühe erschallt über die Bordsprechanlage der lang ersehnte Ruf: “Vi har Nordlys”. Und das um kurz vor 6 Uhr morgens. Aber dafür stehe sogar ich freiwillig auf. Also anziehen, Kamera schnappen (ist ja noch alles vorbereitet) und vor an den Bug, wo es am dunkelsten ist. Der hellste Fleck ist das Licht einer Stadt, aber an der steuerbord-rechten Seite ist tatsächlich ein Grauschimmer über den Wolken zu sehen. Ob da vorher mehr war, als die Durchsage kam?
Egal, die Kamera wird aufgebaut und zeigt grün, auch wenn vier Sekunden bei 3200 ISO und f/2,8 nötig sind. Beeindruckend ist was anderes, obwohl: Wir sind hier in Norwegen auf der Hurtigrute und sehen ein Polarlicht, das vor allem über Kanada und Grönland tanzt. Ich hätte es trotzdem lieber über mir, aber egal – hier ist das Ergebnis:
Das #Polarlicht von heute früh (6-7 Uhr) auf der südgehenden #Hurtigrute MS Nordlys, nördlich von Harstad. 500 Bilder. pic.twitter.com/3ojRjFSR21
— Alexander Kerste (@AlexKerste) 2. Dezember 2016
Eine Stunde später um 7 Uhr jage ich die Bilder noch kurz durch den Rechner, will frühstücken gehen und wache gegen 10 Uhr wieder auf. So viel zu Harstad, dem Point of Interest “Trondenes Kirke” und dem Frühstück. Aber das ist okay: Es langt, um die Risøyrinne einmal aus ungewohnter Perspektive zu fotografieren – nämlich mit Blick nach hinten, weil wir schon kurz vor Risøyhamn sind. Die 4,5km lange Risøyrenna wurde 1922 extra gegraben, um Risøyhamn für die Hurtigrute zugänglich zu machen, und als die großen Schiffe der Millennium-Generation wie Trollfjord und Finnmarken in Dienst genommen wurden, musste sie noch einmal vertieft werden. Den Point of Interest, den Niri zur Risøyrenna liefert, verpasse ich leider wieder – ich bin mit Fotografieren beschäftigt.
Anlässlich der Eröffnung der Risøyrenna wurde auch der Königsstein aufgestellt, der direkt am Hafen daran erinnert und die Unterschriften von drei norwegischen Königen trägt. Er ist nur wenige Schritte vom Schiff entfernt, aber wenn man zehn Minuten vor Abfahrt wieder an Bord sein soll, ist der Besuch bei 15 Minuten Liegezeit trotzdem eine Herausforderung. Zum Glück beherrscht die Nordlys ihre Gangway, wir können rasch an Land und es bleibt genug Zeit für einen kurzen Spurt und ein paar Fotos. Dabei bin ich nicht mal alleine, zwei weitere Gäste versuchen ebenfalls ihr Glück, wir treffen uns am Stein.
Nach Risøyhamn habe ich beinahe frei – ich gebe Niri noch meinen letzten Nordlichtfilm vom Morgen; mittlerweile ist der Film fertig gerendert. Seinen Vortrag über die Hurtigrute schenke ich mir aber, stattdessen schaue ich bei der Sprechstunde von Angelika und Sabine vorbei. Wir bereiten uns auch auf Sortland vor: Dort treffen wir wieder den Ausflugsbus der Vesterålen-Rundfahrt. Sie waren im Dunkeln gestartet und hatten vor Sortland dann Schnee, gelohnt hat es sich trotzdem.
Auch auf der Nordlys wird die Tradition gepflegt, dass der Bus dann über die Brücke fährt, wenn das Schiff darunter hindurch fährt. Leider sind keine Norwegen-Flaggen über, nur Eskild steht am Bug und dirigiert – Respekt vor den Mädels vom Service, die nur mit Bluse und Hose zwischen den ganzen dick eingepackten Touris stehen und mit uns den Bussen zuwinken. Irgendwann mache ich mir wohl mal eine eigene Flagge, bis dahin muss ein Handtuch zum Winken herhalten. Wie immer ist das eine Riesengaudi, bevor ich dann endlich zum Mittagessen komme – schließlich hatte ich nordlichtbedingt noch kein Frühstück.
Nach dem Essen bleibt mir eine Stunde Zeit, um an unserer Abschlussveranstaltung zu feilen. Da sind noch ein paar Dinge vorzubereiten, für die ich morgen keine Zeit haben werde… Kurz nach 14 Uhr erreichen wir auch schon Stokmarknes, den Geburtsort der Hurtigrute. Das Schneetreiben bei Sortland ist nun vorbei, und das Wetter ist prächtig. Nachdem ich allen Gästen den Tipp gegeben habe, sich die alte Finnmarken im Hurtigrutenmuseum anzuschauen, gehe ich erst einmal in den Ort, genauer gesagt in den Coop, Leergut abgeben.
Der Eintritt in das Museum kostet aktuell übrigens 50 NOK, aber die sind für einen guten Zweck: Das Museum wird privat betrieben und nicht von Hurtigruten gefördert; und sie brauchen jedes Øre, um die Finnmarken in Schuss zu halten. Vor allem der Besuch des Schiffs lohnt sich auf jeden Fall.
Stokmarknes haben wir in der Dämmerung besucht; nachdem wir ablegen, ist es bereits dunkel und der Koch zeigt an Deck, wie man Lach fachmännisch zerlegt. Dann geht es in den Raftsund. In der Dunkelheit ist nur zu erahnen, wie nahe wir den mächtigen Felswänden kommen.
Mittlerweile schneit es wieder, daher fahren wir am Trollfjord vorbei. Magnus und Niri bieten dennoch eine tolle Show und erzählen, wie ein Troll, der sich über singende und rappende Kühe aufregte, den Trollfjord schuf. Sehr amüsant, wenn auch nur auf Englisch.
Anschließend bin ich mit meinem Vortrag über Sternsagen dran, wobei Magnus die Latte natürlich hoch gelegt hat. Da muss ich mich beim Geschichtenerzählen schon anstrengen.
Da wir am Trollfjord keinen Halt machen, sind wir etwas früher in Svolvær, aber ich bin rechtzeitig fertig. Unser Team lässt den Abend noch einmal ruhig im Anker ausklingen; natürlich nicht, ohne immer wieder einen Blick nach oben zu werfen. Für 21 Uhr habe ich angekündigt, an Deck zu sein – entweder Sterne oder Polarlichter zeigen, eins von beidem.
Von der Finnmarken, auf der ebenfalls eine Nordlicht-und-Sterne-Gruppe von Hurtigruten Deutschland und Astronomie.de ist, wurde mittlerweile das erste Polarlicht gemeldet, wie ich vom dortigen Lektor erfahren habe. Dafür liegt die Finnmarken wegen Sturm in der Barentssee in Alta fest, dem Ausweichhafen. Da lobe ich mir die Nordlys, die nur auf der Folda durchgerüttelt wurde.
Bei uns hat sich die Wetterprognose auch bestätigt, der Himmel wird klarer.
Gut.
Sehr gut.
Bereits um 20 Uhr ist das Essen angesetzt, also noch während wir in Svolvær sind. Das ist eigentlich gut, da wir dann eh in der hellen Stadt sind, aber die Vorspeise kommt erst nach einer Dreiviertelstunde. Und das heute, wo es klar…
Und dann die Durchsage von Eskild, kurz vor 21 Uhr: Vi har Nordlys. Klar, dass es nun niemanden mehr im Restaurant hält. Nach der langen Wartezeit endlich Nordlicht – und eine richtig schöne Show. Ein langsames, helles Polarlicht tanzt stundenlang über den Polarlicht. Endlich haben die Aurora und die Wettergötter erbarmen, und jetzt kann jeder wirklich sagen, dass er Polarlicht gesehen hat. Von 21 Uhr bis halb eins sind die letzten Beobachter an Deck, und es stellt sich nur die Frage, warum zum Geier wir heute früh den Grauschimmer angeschaut haben – es war die reine Verzweiflung.
Jetzt, endlich, sind alle glücklich, und wir können der Rest der Reise ganz ohne Erfolgsdruck genießen – auch wenn es nur noch eineinhalb Tage sind.
3,5 Stunden #Polarlicht gestern Nacht bei #Svolvær mit der @HurtigrutenDE MS Nordlys und der #Nordlicht & Sterne Reise. Wow. pic.twitter.com/zKgQLcMAv3
— Alexander Kerste (@AlexKerste) 3. Dezember 2016