Mein Plan für heute: Ausschlafen. Schließlich nehme nicht an dem berühmten Ausflug 9A teil, der durchaus schönen Busfahrt über die Vesterålen, die ziemlich früh in Harstad startet. Und auch wenn ich gestern nicht in Tromsø auf Kneipentour war: Ausschlafen würde auch mal gut tun, und es ist ja Sonntag.
A propos: Diese Reise hat doch immer wieder Überraschungen parat. Im viel-gepriesenen Rørbua-Pub am Kai in Tromsø gibt es am Samstagabend keine Live-Musik, die wäre nur Freitag und Sonntag. Diesen Samstag war Disco-Abend. Da lob ich mir die ruhigere Jarnbarnestasjion… vielleicht im Januar auf meiner nächsten Tour.
Aber die Live-Musik ist nicht der einzige Plan, der scheitert: Als Optimist hatte ich das Telefon angelassen, um eventuell doch eine Nordlicht-Durchsage vom Schiff mitzubekommen. Stattdessen weckt mich vor acht Uhr die Durchsage, dass wir Harstad anlaufen, die Teilnehmer des Ausflugs sich am Anleger bei den Bussen treffen und das war es dann mit meiner Nachtruhe.
Das Wetter in Harstad: Bäh. Es nieselt, und die Begegnung mit der nordgehenden Hurtigrute habe ich auch verpasst. Während wir ablegen, haben die Busse bereits das Museum bei der Trondenes-Kirche erreicht, und ich mache noch ein paar Fotos in die Richtung. Die Fontaine im Hafen ist an – ob daher der Regen kommt?
Für uns auf dem Schiff geht die Reise ebenfalls durch die Vesterålen, aber natürlich auf dem Seeweg und somit einer leicht anderen Route. Von den Vesterålen ist nicht so viel zu sehen, es ist der Tag der gekappten Berge: Die Bergspitzen sind unter den tiefhängenden Wolken verborgen. Wir erreichen die Risøyrinne, eine schmale Fahrstraße, die extra für die Hurtigrutenschiffe angelegt wurde, um die Region besser an den Verkehr anzubinden. Johan macht passend dazu einen Interessepunkt auf Deck 7, dabei erspäht er ein paar Seehunde und zwei Seeadler – bis ich mein Teleobjektiv aufgesetzt habe, sind sie schon wieder zu weit weg, aber ein schöner Anblick war es trotzdem. Und wie immer: Vergiss die Kamera und genieße den Augenblick!
In Risøyhamn machen wir wie immer nur kurz halt, ich knipse den Königsstein (mit den Unterschriften der norwegischen Könige anlässlich der Einweihung bzw. Vertiefung der Fahrrinne) von Deck aus und genieße den Tag, während ich noch ein paar Dinge aufarbeite.
Wir fahren weiter an wolkenverhangenen Bergen vorbei bis Sortland, wo erst das Mittagessen angekündigt wird und dann die Begegnung mit den beiden Ausflugsbussen: Sie überqueren die Brücke, als das Schiff darunter hindurchfährt, und alle, die nicht voreilig zum Mittagessen gestürzt sind, stehen vorne am Bug, wo das Expedition Team (das seit einige Zeit übrigens Coastal Experience Team heißt, aber egal) Norwegen-Flaggen verteilt hat.
Als wir in Sortland anlegen, warten die Ausflugsteilnehmer schon am Kai. Wir legen an, die Gangway geht wiederwillig auf, irgendwas macht plopp, und sie steht unter Wasser. Literweise strömt es aus dem Schiff und überflutet die Gangway. Okay… der Captain auf der Brücke sieht nicht glücklich aus. Es dauert einige Zeit, und das Wasser verändert seine Farbe von Rostbraun über klar zu schäumend – Hydraulikschaden oder Sprinkleranlage? Man weiß es nicht… nach einiger Zeit können die Passagiere dann über die Laderampe ins Schiff kommen, während die Gangway weiter geflutet wird.
Tja… ich checke schon einmal das Wetter, falls wir hier nicht wegkommen: Die heute Abend für Svolvær angekündigte Wolkenlücke ist hier auch. Von daher kein Problem für mich… aber wir haben Glück, das Wasser wird unter Kontrolle gebracht, die Gangway kann geschlossen werden, und wir legen nur mit ein paar Minuten Verspätung ab.
Stokmarknes erreichen wir bei bedecktem, aber trockenem Wetter nur mir wenig Verspätung. Das moderne Gebäude mit der alten MS Finnmarken, dem Herzstück des Hurtigruten-Museums, ist schön zu sehen. Das Museum ist privat und wird wohl nicht zuletzt von einem ehemaligen Hurtigruten-Kapitän am Leben gehalten, hat mit der Hurtigruten-Company aber nichts zu tun. Immerhin gibt es jetzt wieder einen ermäßigten Eintrittspreis von 170 NOK für die Gäste der Hurtigrute, der letzte Preis war wohl doch zu hoch.
Mir langt es aber nicht, um hier kurz von Bord zu gehen: Johan fängt mich ab. Am Trondheim-Tag kommen 140 Schüler an Bord und belegen die Konferenzräume, und wir müssen einen Platz für unsere Abschiedsveranstaltung finden. Jede Reise ist anders, und bislang wurde noch jedes Problem gelöst… Die Norweger sind da pragmatisch, was mit deutscher Mentalität nicht immer ganz kompatibel ist.Aber es funktioniert.
Kurz nach Stokmarknes erreichen wir den Raftsund, der Himmel wird besser, und die ersten Fotografen sind überfordert: Was soll ich denn jetzt als erstes fotografieren? Photogasmus nennt sich das wohl:-)
Es ist aber auch zu schön – im Winter hat man das Gefühl, mit dem Schiff durch die schneebedeckten Alpen zu fahren; mit den nachmittäglichen Herbstfarben und etwas Sonne ist das noch mal was ganz anderes.
Kurz vor dem Trollfjord holt uns die kleine Orca ein und legt an der Kong Harald an – kein Piratenboot, sondern der Einstieg in die Seeadlersafari. Knapp 50 Passagiere können hier einsteigen und die Seeadler (sowie unzählige Möwen) aus nächster Nähe anschauen, die mit Fisch angelockt werden.
Von unserem Schiff aus sind die Adler auch zu sehen, aber nur kurz – die wissen, wo es Futter gibt. Ich habe wieder das falsche Objekt drauf und drücke zu spät ab, aber was solls. Sehen, nicht knipsen! Die Orca fährt vor uns in den Trollfjord, die Passagiere kommen dann in Svolvær wieder zurück auf die Kong Harald.
Wir fahren weiter durch den Raftsund, umrunden die Inseln vor seiner Mündung nehmen schließlich Kurs auf diesen eindrucksvollen Fjord. 2,3 km soll er (gemäß der heutigen Durchsage) lang sein, 800 Meter breit, und damit ist er der engste Fjord. Gemäß einer Legende diskutierten hier die Trolle, die man in seinen Felswänden erkennen kann, was man gegen die Menschen tun könne – die Diskussion war so heftig, dass sie darüber die Zeit vergaßen und von der aufgehenden Sonne versteienrt wurden. Noch heute kann man einige Trolle in den Felswänden erkennen.
Einer anderen Legende nach stritten sich einst die beiden Trolle Vågakallen und Hinnøygubben. Als Hinnøygubben mit seiner Axt zuschlug, schuf der dabei den Trollfjord.
Und was macht der Trollfjord heute: Er gibt alles. Die aufreißende Bewölkung taucht ihn in das perfekte Licht. Wahnsinn. Ich versuche gar nicht erst, an den Bug zu kommen (da ist für rund 250 Passagiere zu wenig Platz), sondern halte mich an der Seite, am Heck und auf Deck 7 auf.
Das war bislang eindeutig der Höhepunkt des Tages. Und weiter: Die Wolken reißen auf, wir sind mitten im Polarlichtoval, da muss doch noch was gehen!
Aber erst einmal erreichen wir Svolvær. Die Statue für die Fischersfrau an der Hafeneinfahrt vepasse ich knapp, dafür sehe ich die “Hauptstadt des Lichts” auf den Lofoten auch einmal wieder bei ausreichend Licht und nicht nur lange nach Sonnenuntergang. Ein kleiner Stadtrundgang zu den Rørbua-Fischerhäuschen des Scandic-Hotels und ein Blick in den Anker, unsere Stammkneipe: Sonntag Ruhetag. Was ist denn in dieser Tour für ein Wurm drin?
Nun gut, dann halt über die Kirche mit dem Figurenpark und dem spiegelnden “Auge des Nordens” zurück zum Schiff, und abwarten, was Wetter und Weltraumwetter machen. Ich bin ja doch optimistisch, auch wenn die Polung des Magnetfelds falsch ist. Und dann: Der Pfeil zeigt in die richtige Richtung, JAHAAAA!
Raus an Deck, wo ich bis Stamsund immer wieder die Runde drehe. Hübscher Mond tief im Süden, aber das sollte für das Nordlicht nicht stören. Die Wolken schon eher. Und wo ist es überhaupt? Das Oval in den Apps ist zögerlich, aber deutlich. Und am Himmel? Nichts. Im Windschatten auf Deck haben sich einige Nordlichtjäger versammelt. Wir wären soweit. Und wir haben alles richtig gemacht. Nur Mutter Natur zickt rum. Ich sag doch, die ganzen Apps kann man in die Tonne kloppen.
Ich versuche meinen alten Trick, gebe auf und baue meine Kamera ab, aber davon lässt sich das Polarlicht auch nicht hervorlocken. Es gibt den alten Glauben, dass man mit Pfeifen Polarlicht herbeilocken kann, aber die Seeleute glauben, dass Pfeifen Sturm anlockt… soll ich das vor dem Westfjord riskieren? Besser nicht.
Wir haben noch eine Schiffsbegenung mit der Havila Castor im Mondlicht, und als wir die vorhergesagte Wolkenlücke bei Stamsund erreichen, ist der Himmel komplett zu. Nur ab und an schimmert der Mond höhnisch durch.
Stamsund erreichen wir überpünktlich, was ganz gut ist: Die Gangway geht nicht auf, die neuen Gäste steigen über das Frachtdeck ein. Jetzt kann man auch gut beobachten, dass wir immer noch Fähre sind: Einige Passagiere sind am Sonntagabend nur für die Überfahrt nach Bodø zugestiegen und schlafen auf den Sesseln oder mit Iso-Matte in den Gängen.
Und ich? Gebe die Hoffnung langsam auf, während ich um Deck 5 herumschleiche, nach Wolkenlücken spähe und nichts sehe, was ich sehen will. Wir legen ab und gehen auf Südkurs, die Lofoten bleiben hinter uns zurück, vor uns scheint der Mond immer wieder durch die Wolken, aber sonst…
Gegen Mitternacht kapituliere ich. Noch ein Blick auf Deck 7: Auch unser Schiffshund wirkt unglücklich. Im Prinzip war das ja eine tolle Reise, nur das Nordlicht enttäuscht.
Ich gehe in meine Kabine und studiere noch einmal meine Unterlagen: Der rituelle Harakiri des Lektors ist nicht obligatorisch. Uff… Immerhin ein Lichtblick. Ich überlege, ob ich mir den Fliegenden Holländer zum Vorbild nehmen soll, mich mit den Göttern anlegen und solange hier oben rumkreuzen soll, bis wir vernünftiges Polarlicht haben, aber das gibt dann auch nur Ärger zuhause. Also tue ich das einzig Vernünftige, mache es wie der Schiffshund und haue mich in die Koje.