Hurtigrute Tag 6: Nordkap und Nordlicht

Der Tagesplan

Willkommen in der Polarnacht!

Der morgendliche Blick aus dem Fenster vor Havøysund ist gar nicht mal so finster. Die blaue Stunde dauert hier lange, wenn der Himmel klar ist – und das ist er. Bevor wir in den Magerøya-Sund fahren, steht ein kurzer Halt in “Hawaii-Sund” an, wie Havøysund gerne genannt wird.

Für das Frühstück besteht keine Hetze: Es gibt bis 13 Uhr Brunch, weil heute Nordkap-Tag ist und gegen Mittag die meisten auf Ausflug gehen.

Kurz nach Havøysund, um 9:15, ist der erste Termin an Bord: Da wir immer noch mehr oder weniger Postschiff sind (auch wenn die Briefe, die hier an Bord eingeworfen werden, längst im nächsten Hafen in das Flugzeug umgeladen werden), führen wir weiterhin die Postflagge, und der Postmeister des Schiff stempelt Briefe (und, wenn man lieb fragt, bestimmt auch Bücher und anderes) mit dem Nordkap-Stempel.

Die ruhige Fahrt durch den Magerøya-Sund erlebe ich nur durch die Fenster: Wir haben seit 9 Uhr wieder Sprechstunde und gut zu tun. Den Interessenspunkt des Expeditionsteams zum Magerøyasund, dem Tunnel unter dem Sund und wohl auch zu den Rentierherden verpasse ich, aber kurz vor dem Einlaufen in Honningsvåg schaffe ich es doch auf das Umlaufdeck. Bestes Wetter auf der Insel mit dem Punkt, der als nördlichster Europas verkauft wird – auch wenn es weder der nördlichste Punkt des Festlands ist, noch der nördlichste auf der Insel. Aber Sehnsuchtsort ist das Nordkap auf jeden Fall, und eindrucksvoll auch – selbst, wenn man die Acht-Stunden-Wanderung zur nächsten, noch ein paar Meter nördlicheren Inselspitze nicht macht, sondern sie nur vom Nordkap aus sieht.

Kurz vor elf erreichen wir Honningsvåg, und ich bin von dieser Tour wettertechnisch bislang extrem positiv überrascht: Meine letzte Novembertour war landschaftlich wenig reizvoll, da das Grün bereits weg war, das Weiß noch nicht da war, und gerade der hohe Norden trostloser grau-brauner Boden war. Jetzt hält sich immer noch etwas Grün, und der erste zarte Schnee liegt bereits – eher etwas Puderzucker, aber zusammen mit der langen blauen Stunde hat das was. Von dem Wintereinbruch Ende Oktober ist aber nicht mehr viel zu sehen.

Während fast alle Gäste zu den Bussen zum Nordkap strömen (es gibt auch wieder Taxis, die die etwas Mutigeren auf eigene Rechnung zum Nordkap und retour bringen), steht für mich ein ruhigerer Tag an – ich war ja erst im Februar am Nordkap. Also mache ich mich wieder auf einen kleinen Rundgang durch das sonntägliche Örtchen, erst einmal zur anderen Seite des Hafenbeckens für ein Bild der Steuerbordseite des Schiffs.

Normalerweise kann man ja nur die Backbordseite sehen – die “Packbordseite” mit der Ladeklappe.

Die Nordlys in Honningsvåg

Neu am Hafenbecken ist ein weiteres Kunstwerk aus Treibgut: Gegenüber des Kulturhauses hängt ein weiteres Kunstwerk aus Müll an einer Hausecke; die Gummistiefelsammlung am Kulturhaus gibt es ja schon lange.

Dann gehe ich hoch zum Friedhof, um den Ausblick über den Ort zu genießen. Das ist zwar steil, aber ohne Schnee ein richtig kurzer Ausflug. Der Ausblick ist natürlich nicht ganz so schön wie am Nordkapp… Auf dem Friedhof ist auch die markante Büste für den Regisseur Knut Erik Jensen, der den “Männerchor von Berlevåg” (“Heftig og begeistret”, auf Englisch “Cool and Crazy)” gedreht hat. Wer an Nordweh leidet, kann sich den Film als Kur antun. Ein ernüchternd-deprimierender Streifen über das Leben in Nordnorwegen, und dennoch der vierterfolgreichste norwegische Film.

Zurück auf dem Schiff nutze ich die Gelegenheit, um ein paar Fotos von der Nordlys zu machen, während kaum jemand an Bord ist – wenn auch im Dämmerlicht der Polarnacht. Was gibt es über das Schiffchen zu erzählen? Sie wurde 1994 bei der Volkswerft in Deutschland gebaut und 2019 umgebaut, dabei erhielt sie die heutige Inneneinrichtung, und einige Kabinen auf Deck 6 wurden zu Suiten zusammengelegt und teilweise mit Erkern ausgestattet. Dadurch hat sie jetzt noch 210 Kabinen für bis zu 590 Passagiere – mit Tagesgäste dürfen sogar 691 auf das Schiff. Mit 122 Meter Länge ist sie ganz schön groß, solange man keine Kreuzfahrtschiffe kennt – sie ist etwa genauso groß wie die anderen 90er-Jahre-Schiffe, die Hurtigruten aktuell auf der alten Postschifflinie einsetzt. Da sie recht spät umgebaut wurde, ist der Umbau etwas hübscher gelungen als bei den früher umgebauten Schiffen.

Und dann? Während das Schiff Apfelkuchen und heiße Schokolade für die zurückkehrenden Ausflügler vorbereitet, mache ich noch einmal Powernapping. Irgendwie hat die Tour es in sich… und es gibt heute auch nicht mehr viel zu sehen, als wir Honningsvåg verlassen, dämmert es schon deutlich. Die Überfahrt nach Kjøllefjord ist daher unspektakulär, bei überraschend ruhiger See. Um 15:30 ist Thomas mit seinem Vortrag über das Sonnensystem dran, anschließend gibt es wieder ein Treffen mit dem Expeditionsteam, das von Nordlichtalarm unterbrochen wird – um 17:45, kurz vor dem Abendessen. Also ab an Deck, und die Kamera aufbauen. Ich freunde mich schon mit dem Gedanken an, das Abendessen ausfallen zu lassen (ich hätte mir die Mørketidsboller länger aufheben sollen), aber so toll ist es dann doch noch nicht – ich entscheide mich für das Abendessen, schließlich laufen wir um 18:55 schon wieder Mehamn an. Aber ganz hübsch anzuschauen war es auf jeden Fall:

Etwas Polarlicht vor Mehamn

Soweit ist das Polarlicht also nicht besser als beim letzten Mal, und die Nacht ist noch jung. Da sollte später noch mehr kommen, die Barentssee ist ja mitten im Polarlichtoval.

Nach Mehamn teilen wir uns wieder auf: Thomas ist achtern auf Deck 7, und ich baue meine Kamera vorne am Bug auf. Es beginnt ruhig, und irgendwann wird es mir zu kalt, sodass ich meine zweite Kamera unter Deck bringe.

Polarlicht zwischen Mehamn und Berlevåg

Und es funktioniert immer wieder: Um 20:20 brennt der Himmel für einige Minuten. Mit der Nikon verpasse ich das, weil die weiterhin in Fahrtrichtung ausgerichtet ist, während die große Show über uns und rechts von uns stattfindet – aber das ist auch ganz gut so, da wären ohnehin alle Bilder überbelichtet. Die KAmera ist weit weg auf Deck 3, so bleibt mir nur mein Handy, und mit dem kann ich das sogar filmen. Auf dem Handy-Display sieht das sogar ganz gut aus, nur in groß darf man es nicht anschauen…

Aber: Wow! Das ist die Show, die ich immer zeigen (und vor allem selbst sehen) will. Grün und Rot am Himmel, schnelle Bewegung und tanzendes Licht, Ahs und Ohs an Deck, und später überall lächelnde Gesichter. So macht der Job wirklich Spaß.

Die große Show dauert keine fünf Minuten, aber was für ein Spektakel. Deshalb sind wir alle hier.

Danach wird es wieder ruhiger, ist aber immer noch beeindruckend. Als das Expeditionsteam um 21 Uhr den Interessenspunkt Nordlichtjagd auf Deck 7 veranstaltet, ist nicht mehr viel los – mit den Getränken kann man auf den Erfolg anstoßen, aber die große Show ist vorbei. Feierabend machen lohnt sich trotzdem noch nicht, auch nach dem Halt in Berlevåg gibt es immer wieder etwas zu sehen. Ich streiche gegen Mitternacht die Segel, aber auch um halb drei war noch etwas zu sehen. Aber bis mein Rechner die ganzen Fotos verarbeitet hat, wird es morgen Mittag werden – und viel besser kann es kaum noch werden.

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