Nach der Polarlichtshow gestern Abend beginnt der Tag viel zu früh: Wir erreichen Kirkenes fast planmäßig kurz nach 9 Uhr, um 8 Uhr ist Reiseleitersprechstunde, und etwas vorher klingelt mein Wecker, und mein Rechner hat den ersten Schwung Bilder durchgearbeitet, sodass der erste Zeitraffer fertig ist.
Pünktlich zur Einfahrt bin ich wieder an Deck – und Kirkenes zeigt sich trübe. War es das etwa mit unserer Schönwetterperiode? Immerhin ist es deutlich wärmer als die -28° vom letzten Dezember; diesmal hing das Thermometer die ganze Fahrt über meist um die 0-5 Grad.
Ohne Ausflug gibt es eigentlich nicht viel neues über Kirkenes zu sagen. Die “Fahrt zur russischen Grenze” ist jetzt ein “Ausflug zur norwegischen Grenze”, ansonsten scheint hier alles beim alten zu sein. Ein klein wenig Schnee liegt – gerade genug, um das Braun zu überdecken und für etwas trügerische Glätte zu sorgen – , und die Schlittenhundefahrt soll ebenfalls stattfinden. Ich plane heute aber keinen Ausflug, sondern gehe nur so in das Städtchen. Der erste Besuch gilt wieder dem Kiosk am Anleger, wo der Elch weiter wacker an Corona erinnert – auch wenn es weitestgehend ignoriert wird, und an Bord noch nicht mehr gehustet wird als üblich.
Ich mache heute nur eine kleine Runde in die Stadt, das trübe Wetter lädt nicht dazu ein, den Aussichtspunkt aufzusuchen oder gemütlich rumzuschlendern. Immerhin wirkt die Weihnachtsbeleuchtung hier gleich viel freundlicher.
Kirkenes gehört ja zu den Städten, die im zweiten Weltkrieg gut gelitten haben und in denen die Russen als Befreier willkommen geheißen wurden. Außer während des Kalten Krieges herrschte ein gutes Verhältnis zwischen Russen und Norwegern in dieser Gegend, mit viel Handel – Vardø heute Abend war für den Pomoren-Handel berühmt. Heute gibt es immer noch einen unbürokratischen kleinen Grenzverkehr zwischen Norwegen und Russland, und es sind einige russische Autos im Ort.
Vor allem der zweite Weltkrieg hat Spuren hinterlassen: Der Bunker der Andersgrotta, das Russendenkmal und das Denkmal für die Kriegsmütter haben wieder an Aktualität gewonnen, und einige blau-gelbe Flaggen und Fahrzeuge lassen hoffen, dass zumindest einige Menschen doch aus der Vergangenheit lernen und sie nicht immer und immer wieder wiederholen wollen.
Die Uhren an der Kirche von Kirkenes zeigen immer noch verschiedene Zeiten an, und ich werfe einmal einen Blick hinein – keine Ahnung, wann ich das das letzte Mal getan habe. Die Tür geht eigentlich nur per elektronischem Türöffner aus, und das Innere ist ganz gemütlich. Besonders schnucklig ist die Krippe:-)
Mein Hauptziel ist das AMFI, die letzten Weihnachtseinkäufe erledigen. Vernünftige Spikes stehen auf dem Wunschzettel, und das Outdoor-Outlet hat gute Ware zu sehr guten Preisen. Und Weihnachtsdeko gibt’s auch. Danach mache ich mich auch schon wieder auf den Rückweg. Gut, dass das bis Brønnøysund die letzte große Einkaufsmöglichkeit ist, meine Kreditkarte ist langsam am Ende.
Das Schiff liegt ein Stück außerhalb von Kirkenes, ein paar Minuten ist man schon unterwegs bis in das Industrie- und vor allem Logistik-Viertel am Hafen. Noch ein kurzer Besuch im Spareland: Interessante Sachen haben die da. Immer-feuchter Sand, um Sandburgen zu bauen, und ein ganzes Regal mit Sonnencreme. Das sind nicht ganz die Saisonartikel, die ich hier erwartet hätte…
Noch kurz ein Bild vom Schiff, und das war es mit Kirkenes. Die anschließende Überfahrt nach Vardø ist ruhig, und der Himmel bedeckt. Das Expeditionsteam überbrückt die Zeit mit Vorträgen zu den norwegischen Kulturlandschaften und der Sicherheitsunterweisung für neu zugestiegene Passagiere, und für Thomas und mich gibt es gute Neuigkeiten: Wir können umziehen, weg vom Lärm des Motors bzw. des Bugstrahlruders. Jetzt scheppert jedes Mal im Hafen unter mir die Decke vom Restaurant, aber das ist deutlich erträglicher als das Bugstrahlruder. Die Postschiffe sind letztlich Arbeitsschiffe und keine Kreuzfahrtschiffe, da wird es schon mal etwas lauter.
Vardø erreichen wir mit nur fünf Minuten Verspätung. Mein Weg führt mich mit dem Expeditionsteam zur kleinen Festung, wo Danilo eine überraschende Mitteilung hat: Wer gut zu Fuß ist, kann mit ihm zum Hexendenkmal spurten. Das erleben ich auch zum ersten Mal. Aber mir langt die Zeit nicht, ich muss etwas früher auf dem Schiff sein, Vortrag vorbereiten. Also nur kurz einmal durch die kleine Festung.
Um 17 Uhr halte ich dann meinen zweiten Vortrag, es geht wieder um Sternbilder und ihre Mythen. Irgendwann muss ich das Buch zum Vortrag fertig schreiben. Wenn man nicht immer nebenher noch Geld verdienen müsste, könnte man so viel schaffen… Da der Himmel bedeckt ist, kann ich ihn auch in Ruhe halten. Dann noch die Ankündigungen, morgen haben wir gleich zwei Veranstaltungen: Thomas’ letzter Vortrag über Raumfahrt zum Mond, und Margits Weihnachtsvortrag.
Nach dem Abendessen: Wir tauschen die Kabine, und prompt gibt es Polarlichtalarm. Erst einmal die Kamera wieder auspacken – das Polarlicht vor Båtsfjord genieße ich vor allem mit dem Auge und vom Heck aus, die Kamera kommt später. Ist aber auch mal schön, und ein bisschen was erwische ich noch:-)
Die Wolkenlücke kam recht überraschend (YR zeigte immer noch 99% Bewölkung an), aber das Polarlicht nutzt seine Chance.
In Båtsfjord ist eine kurze Pause angesagt, danach geht es etwas ruhiger weiter. Ich richte meine Kamera nach hinten aus, aber das große Spektakel kann ich nicht mehr einfangen. Als ich sie zwei Stunden später kurz vor Berlevåg wieder einsammle, ist sie gut nass – das meiste ist Gischt, aber der Himmel gibt jetzt nichts mehr her.
Den Tag kann ich nun ruhig ausklingen lassen und mich in der neuen Kabine einrichten – sie bietet dank Doppelbett etwas weniger Stauraum, aber so schläft meine Kameraausrüstung halt im Bett neben mir statt auf der Couch. In der alten Kabine gab es zwei Klappbetten, von denen eines zur Couch umgeklappt werden kann – dafür habe ich jetzt einen kleinen Schreibtisch neben dem Bett, auf dem mein Laptoplüfter die Nacht über rauscht: Am nächsten Morgen sind auch die 2000 Bilder durch, die den kleinen Zeitraffer der Fahrt von Båtsfjord Richtung Berlevåg zeigt:
So viel Polarlicht wie auf dieser Reise hatte ich schon lange nicht mehr – Traumwetter im November.