Uff – wir haben wirklich schon Tag 4 unserer Reise, ein Drittel ist vorbei. Wie die Zeit vergeht, wenn man Spaß hat… Etwa um 7:12 Uhr haben wir den Polarkreis überquert, und ich habe es tatsächlich geschafft, gerade noch rechtzeitig an Deck zu sein. Ein letzter Blick auf die Insel Vikingen, dann auf das Kamera-Display – völlig falsche Einstellungen. Das ist das Blöde bei einer DSLR: Der Blick in den Sucher ist doch anders als das Ergebnis… Also gibt’s die Bilder doch nur aus einigem Abstand und nicht so schön wie geplant. Egal.
Immerhin: Normalerweise kenne ich die Kugel auf der Wikinger-Insel nur bei Nacht; sie nordgehend im Sonnenschein – wenn auch unter einer geschlossenen Wolkendecke – zu sehen ist mal eine nette Abwechslung.
Die Reise vom Polarkreis nordwärts führt an einer wunderbar schroffen, gebirgigen Landschaft vorbei, die auch trotz der niedrigen Wolkendecke beeindruckt. Bis zum nächsten Ereignis bleibt genug Zeit für das Frühstück, und kurz nach acht begegnen wir der südgehenden Hurtigrute MS Nordlys. Hoffentlich bleibt das heute nicht das einzige Nordlicht, aber wir sind genau an der Wolkengrenze. Jeder Wetterbericht meint was anderes…
Um 9:30 steht Ørnes an, einer der am schönsten gelegenen Häfen der Hurtigrute. Mit dem grauen Himmel kann er seinen Reiz nicht ganz entfalten, aber ich bin trotzdem irritiert, wie wenig Leute an Deck sind – Deck 7 ist fast leer, sogar im Panoramasalon sind noch Plätze frei. Seltsam und seltsamer…
Eine Stunde später folgt die Polarkreistaufe, die Zeit bis dahin wird mit der Reiseleitersprechstunde überbrückt. Jetzt ist es auch voll an Deck.
Ich kenne das Spiel ja mittlerweile: Alles drängt sich an Deck, und fotografieren ist fast unmöglich. Dank DSGVO ist das für einen armen Blogger aber auch egal, veröffentlichen darf man ja eh kaum noch etwas. Also: Ab ganz ans Heck, sodass ich Blick auf den Raum vor den Schornstein habe. Der Gewinner des Polarkreiswettbewerbs wird bekannt gegeben, er erhält die Hurtigrutenflagge, die bei Überquerung des Polarkreises am Schiff geweht hat, samt Unterschrift vom Käpitän und die Pole Position bei der Taufe – das Eis steht bereit, nur Njord muss noch herbeigerufen werden. Mit kräftigem Anfeuern durch die Gäste erscheint er dann auch auf dem Deck vor dem Schornstein, gibt seine Macht über das Wasser bekannt (auch über das Heißwasser, das heute früh wegen Reparaturarbeiten kurzzeitig gefehlt hatte), kämpft im Wind mit seinem Bart, lässt sein mächtiges Horn erschallen und schreitet zur Taufe herbei. Das ist der Moment, in dem ich mich verdrücke: Einerseits habe ich die Taufe schon einmal mitgemacht, und andererseits halte ich um zehn Uhr meinen ersten Solo-Vortrag über den aktuellen Sternenhimmel, garniert mit ein paar griechischen Sternsagen. Der Rest der Sagenwelt kommt in einem späteren Vortrag dran.
Und dann? Ein Blick nach draußen, wo das Wetter schöner (wenn auch nicht wärmer) wird und Bodø langsam in Sicht kommt. Die Landschaft ist schöner als der Ort, trotzdem steht ein kleiner Abstecher nach Bodø auf dem Programm. Aber erst lassen wir die Ausflügler zu Mittag essen, dann stürzen wir uns auf das Buffet.
Der Gang in die Stadt dauert etwa 15 Minuten, wobei die Hauptstraße immer noch eine Baustelle und für Fußgänger gesperrt ist. Was soll ich sagen: Bodø ist kaputt. In der windigsten Stadt Norwegens weht gerade mal ein laues Lüftchen.
Direkt am Anleger ist das Denkmal für das verunglückte Hurtigrutenschiff Prinsessin Ragnhild, ansonsten hat die moderne Stadt erst einmal nicht so viel für das Auge zu bieten: Sie wurde im Krieg zerstört und rasch wieder aufgebaut, seitdem ist sie stark gewachsen. Leider ist Nachkriegsarchitektur touristisch eher uninteressant, der Reiz von Bodø braucht ein paar Besuche, um sich zu entfalten. Aber es gibt das markante graue Rathaus mit seinem Turm, das gerade erweitert wird, die seltsame Kirche mit freistehendem Glockenturm, dahinter das interessante Nordlandmuseum, und am Hafen das Lachsmuseum/Salmon Center. Entgegen anderslautenden Gerüchten ist es immer noch offen. Sehr zu empfehlen, wenn man Englisch kann.
Nach dem Gang durch Bodø bin ich erst einmal platt – eigentlich wollte ich nur kurz die Kamera ablegen, daraus wird eine halbe Stunde im Bett. Und dann verlassen wir schon wieder Bodø und ich muss raus. Wir haben eine fantastische Lichtstimmung, während wir weiterfahren. Eigentlich sollte ich Filter für meine Kamera holen, aber dann würde ich hier was verpassen… und noch was gibt es zu sehen: Die Lofotenwand, also die unzähligen Berggipfel der Lofoten-Inseln. Auf so eine Fernsicht hätte ich nicht gewettet. Und was ich zum ersten Mal hier bemerke: Eine Fata Morgana. Einige der vorgelagerten, dunklen Inseln scheinen über dem Wasser zu schweben. Eigentlich nicht so eindrucksvoll wie ich mir eine Fata Morgana vorgestellt hatte, aber trotzdem ein interessanter Anblick, zumindest mit dem Teleobjektiv.
Normalerweise bekomme ich von dieser Strecke nicht viel mit, da es einerseits dunkel ist und ich andererseits hier meinen üblichen Vortragstermin habe, aber jetzt habe ich Zeit, um auf den Leuchtturm Landegode zu warten. Er liegt hübsch vor einem Berg, bekommt das richtige Licht ab, und nach einer Dreiviertelstunde an Deck ist mir kalt. Aber das war es wert:
Das Schiff ist mittlerweile richtig voll: Die Hurtigrute dient ja bei aller touristischer Auslegung immer noch für den öffentlichen Nahverkehr, und es ist voll mit Norwegern, die für das Wochenende von Bodø auf die Lofoten fahren. Freitagnachmittag halt, da sind unsere Straßen und Züge ja auch voll.
Die weitere Fahrt über den Westfjord ist ruhig, wahnsinnige 30 Zentimeter hohe Wellen waren angesagt. Ich nutze die Zeit, um in der Kabine auszuruhen, wo ich keinen störe. Zum Abendessen sieht der Himmel vielversprechend aus, vielleicht haben wir ja doch noch Glück?
In Stamsund ist der Himmel klar, aber keine Spur von Nordlicht. Alle Prognosen sind auch pessimistisch: Die Polung ist falsch, es kommt einfach nichts zu uns durch. Kurz vor Svolvær zeigt der ACE-Satellit etwas brauchbarere Daten – wird es in ein, zwei Stunden im Raftsund klappen? Wäre ja toll. Und die Hoffnung stirbt zuletzt (aber sie stirbt!).
Zwischen Stamsund und Svolvær ist nichts, nur die südgehende MS Nordkapp bringt Licht in die Nacht. Erstes Schiff, erste Liebe… klar, dass ich an Deck bin und dem Schiff zuwinke, auf dem ich meinen ersten Touren hatte. Sie fährt schön nahe an uns vorbei, und die Schiffe begrüßen sich mit lautem Hupen. Immer wieder eine schöne Tradition:-) Ein paar Minuten später erreichen wir dann auch Svolvær auf den Lofoten.
In Svolvær sorgte der Wind für unangenehme Temperaturen, sodass ich es bei einem kleinen Spaziergang durch die Dunkelheit belasse. Ein Ziel ist die Galerie von Dagfinn Bakke. Als die Hurtigrutenschiffe noch alle individuell ausgestattet waren, hatte er die Finnmarken mitgestaltet und ist für seine Cartoons ebenso bekannt wie für die (unbeleuchtete) Statue der Fischerfrau, die am Hafeneingang von Tromsø steht. Am 1. Januar 2019 starb der Künstler 85-jährig, seine Galerie wird aber weiterbetrieben. Heute hat sie zu, die Öffnungszeiten sind meist bei Tag (verständlicherweise).
Die Fahrt durch den Raftsund ist ruhig: Sternklarer Himmel, überraschend wenig Schnee an den Berghängen, und keine Spur von Polarlicht. Frust.
Kurz vor dem Trollfjord, ein paar Minuten nach 23 Uhr, zeigt zumindest die Kamera einen Hauch von Grün. Visuell: Ich müsste lügen, wenn ich sagen wollte, dass da was mit Sicherheit zu sehen wäre… Trotzdem lasse ich meine Kamera mal laufen. Am Trollfjord bewegt der Käptn das Schiff passt perfekt: Erst wird der Fjord vom Bug aus beleuchtet, dann dreht das Schiff, und er ist vom Heck aus zu sehen, wo magischer Trolltrunk verkauft und Fiskekake serviert werden. Und dann: Tatsächlich ein helleres Grau am Himmel – das Nordlicht lebt!
Zumindest ein wenig… als ich meine Kamera vom vollen Deck 7 wieder auf 5 gebracht und aufgebaut habe, ist schon wieder nur diffuses grünes Licht zu erahnen. Kurz nach Mitternacht ziehen dann auch Wolken aus. Das war es wohl für diese Nacht. Das Ergebnis im Zeitraffer sieht ganz nett aus, aber irgendwie muss da doch noch mehr gehen.