Am 19. Januar heißt es, (für meine Verhältnisse) früh aufstehen: Gegen 9:20 überqueren wir wieder den Polarkreis, anschließend ist die südgehende Polarkreiszeremonie. So schaffe ich es bereits zum zweiten Mal auf dieser Fahrt rechtzeitig in den Frühstücksraum… Hier gibt es wohl ein neues Frühstückskonzept; die O-Saft-Automaten wurden durch Glaskaraffen ersetzt. Ansonsten hat sich nicht viel verändert.
Pünktlich zur Polarkreispassage sind wir auf dem Umlaufdeck und nutzen die Zeit für ein Gruppenfoto des “Managements” (Reiseleiter und Lektoren), bevor die Wiking-Insel mit der Polarkreiskugel wieder einmal an Steuerbord an uns vorbei zieht.
Anschließend ist volles Programm angesagt: Den Anfang macht die Polarkreiszeremonie mit Lebertran für alle. Nur, wer ihn auch wirklich schluckt, darf den Löffel behalten. Die Reaktionen sind gemischt: Das Spektrum reicht von “Nur über meine Leiche” bis hin zu “Der Energiekaffee war schlimmer.”
Ab zehn Uhr startet der Briefmarkenverkauf, gleichzeitig signieren Kapitän, Maschinenchef und Chefkoch Bücher. Vielleicht sollte ich auch mal ein paar meiner Bücher mit an Bord nehmen…
Eine Stunde später, als wir für einen kurzen Halt in Nesna anlegen, gibt Heinz eine Infoveranstaltung für alle, die in Trondheim von Bord gehen. Da sind auch gleich die Infos für unsere Gruppe dabei, schließlich stellen wir den Löwenanteil der deutschsprachigen Gäste auf der südgehenden Tour.
Wieder eine Stunde später gibt es schon Mittagessen, und um 12:30 halten wir kurz in Sandnessjøen. Nachdem wir den Hafen eine halbe Stunde später verlassen, kommt die beeindruckende Bergkette der Syv Søstre in Sicht. Sechs Gletscher bahnten sich hier einst ihren Weg und hinterließen eine Kette aus sieben Berggipfeln. Die sieben Schwestern sind heute schüchtern: Während der englischen Durchsage sind nur drei von ihnen zu sehen, während der deutschen Durchsage immerhin schon vier. Der Nebel, der zwischen den Bergen hindurch wallt, hat aber auch seinen Reiz und gibt dem ganzen einen mystischen Touch.
Etwas später, gegen 14:30, belegen wir den Panoramasalon: Da die Konferenzräume immer noch belegt sind, findet unser Abschlussvortrag heute im Panoramasalon statt. Das ist nicht ganz optimal, da die Stühle einerseits ziemlich bequem sind und andererseits nicht alle auf die Leinwand ausgerichtet sind, aber immerhin haben wir einen ungewöhnlichen Ort für eine Reise durch 40.000 Jahre Menschheitsgeschichte mit Sagen und Legenden.
Der nächste Hafen ist Brønnøysund, berühmt für das beste Eis. Hier investiere ich meine letzten Kronen in drei Kugeln Eis im Becher, garniert mit einer Eistüte. Den gezückten Kameras zufolge war das eine gute Wahl – mal sehen, wie oft mein Essen jetzt auf Facebook landet.
Und dann bricht Panik aus: Die Gangway wird eingefahren! Dabei ist es noch gar nicht 17:00 Uhr… Neben uns Lektoren stehten aber auch einige von der Crew am Kai, während Heinz aus seinem Büro winkt. Wenig später können wir wieder an Bord: Manchmal muss die Gangway an Ebbe und Flut angepasst werden. Trotzdem ist es ein seltsames Gefühl, das von außen zu beobachten…
Direkt nach der Abfahrt geben wir unseren Abschied: Mit einem Glas Sekt und schönen Worten verabschieden wir uns schon einmal von unseren Gästen, und Volker hat eine Präsentation vorbereitet, in der er mit vielen Bildern die Reise noch einmal Revue passieren lässt.
Vor der Bildershow gibt es noch eine Überraschung von unserer Gruppe: Yvonne und Georg bedanken sich mit einem Gedicht bei uns und lassen anschließend den Hut für uns rumgehen – das hatten wir auch noch nicht! An dieser Stelle noch einmal an ganz herzliches Danke an alle, die ihren Teil dazu beigetragen haben, aus dieser Reise ein unvergessliches Erlebnis zu machen. Dazu gehören nämlich nicht nur ein schönes Schiff, gutes Wetter, der spielerisch-faszinierende Tanz der Aurora und die Arbeit von uns Lektoren und Reiseleitern vor und hinter den Kulissen, sondern immer auch die Gäste – mit einer netten Gruppe macht viel mehr Spaß, und so wird das wirklich zur viel beworbenen Schönsten Seereise der Welt. Vielen Dank für die schöne Zeit und alles rund herum!
Aber die Hurtigrute wäre nicht die Hurtigrute, wenn wir nicht gleich hurtig zum nächsten Event müssten: Nach der Bildershow wartet Heinz am anderen Ende des Schiffs im Restaurant auf uns. Das berühmte Captain’s Dinner steht an, oder wie es auf der Hurtigrute treffender heißt: Das Farewell Dinner. Da viele Gäste das Schiff schon in Trondheim verlassen und nicht bis Bergen fahren, sagen die Offiziere heute schon auf Wiedersehen.
Das Dinner findet in recht legerem Rahmen statt, hier gibt es noch einmal die Chance, die Crew kennen zu lernen und sich über das Trinkgeld Gedanken zu machen. Wie es auf der letzten Tour so schön hieß, wird Trinkgeld in Norwegen nicht erwartet, aber akzeptiert. Da die Crew nicht nur im Servicebereich die 22-tägige Schicht wirklich hart durcharbeiten muss (auf den kleineren Schiffen noch mehr als auf denen der Millenium-Generation mit größerer Crew), ist die Anerkennung durchaus gerechtfertigt, auch wenn in Norwegen noch Löhne üblich sind, von denen man leben kann. So wird verhindert, dass irgendwann nur Dienst nach Vorschrift gemacht wird. Aber auch ein einfaches Tusen Takk wird gerne gehört. Das Trinkgeld für die Crew wird in einer alten Postbox am Restauranteingang gesammelt und dann gleichmäßig verteilt – so erhalten auch die ihren Anteil, die unterwegs von Bord gegangen sind. Nur ein Teil der Besatzung wechselt in Bergen, andere steigen an ihren jeweiligen Wohnorten zu. Daher bringt es nichts, am Ende der Fahrt Geld in der Kabine liegen zu lassen – eventuell sammelt das dann die externe Putzmannschaft ein, die bei Bedarf kurz vor Bergen zusteigt und aufräumt.
Übrigens noch ein Tipp für Reisen in südliche Länder: Ruhig im Hotel am Anfang des Aufenthalts Trinkgeld geben – so wird das Personal vorher motiviert, und in manchen Ländern sind ein paar Euro viel Geld. In Norwegen merkt man dagegen schon eher, dass Deutschland Billiglohnland ist – spätestens, wenn im Lauf der Nacht die Kreditkartenabrechnung für die Reise an der Tür hängt…
Nach dem Abendessen steht nur noch ein Punkt auf der Liste: Die MS Lofoten in Rørvik. Wir begegnen der alten Dame im Schneesturm und können ihr beim Anlegen zuschauen. Das ist eine echte Zeitreise, wenn auch eine gefährliche: Inn dem Pulverschnee am Kai hat man zwar guten Halt, rutscht dann aber mitsamt dem Schnee über das darunterliegende Eis. Eieiei.
Der schwarze Rumpf der Lofoten mit ihren weißen Aufbauten bietet einen herrlichen Anblick, wie er aus der Dunkelheit auftaucht und in Rørvik anlegt. So stellt man sich die klassische Postschiffe vor, und von den 1950er bis in 1980er/90er Jahre war das der Standard. Die Lofoten gehört zu den Nachkriegsschiffen, die speziell für die Hurtigrute gebaut wurden. Vorher war praktisch jedes gerade verfügbare Schiff auf Tour, relativ unabhängig von Tonnage und Geschwindigkeit. Erst nach dem Krieg wurden einheitliche Schiffe speziell für die Hurtigrute gebaut, darunter die Lofoten und die zweite Finnmarken, die heute in Stokmarknes (hoffentlich) vor dem Verfall gerettet wird, aber auch die Nordstjernen, die heute vor allem in der Ostsee unterwegs ist, oder die Kong Olav, die gerade in Asien verrottet. Wer eine Reise auf der Lofoten bucht, muss wissen, worauf er sich einlässt – und tatsächlich hat dieses Mal keiner der Lofoten-Passagiere Interesse daran, das “Kreuzfahrtschiff Finnmarken” zu besuchen. Die Lofoten bietet noch echte Seefahrt.
Zu den sympatischen Eigenheiten der Hurtigrute gehört übrigens, dass die Durchsagen immer noch von echten Menschen gemacht werden. Ich weiß nicht, welcher Blödsinn mir auf dieser Fahrt am besten gefiel:
- “The north-southbound Hurtigrute MS Finnmarken is ready for departure” (kam öfter)
- Norwegisches Blabla, gefolgt von kurzem Schweigen und einem “Ups”
- oder doch das “Southbound Hurtigrute MS Kong Harald… MS Finnmarken is ready for departure”, das wir in Rørvik hören?
Wie auch immer, die Finnmarken übersteht die kurze Umtaufe in Kong Harald unbeschadet, und wir setzen zur Reise über die Folda an. Eineinhalb Stunden offener See bescheren uns einen leichten Wellengang, der aber soweit ich das sehen kann keinem Probleme macht – das große Schiff schluckt die Wellen gut, und echter Seegang ist ohnehin etwas anderes. Wer den sehen will, muss zum Pool gehen: Dort schlagen die Wellen fast bis zur Decke. Nennt mich Feigling, aber ich streiche meine Hoffnung auf einen Poolbesuch für diese Reise endgültig. Wer heute flieht und rennt von hinnen, kann ein andermal gewinnen…
Im Video kann man vielleicht nachvollziehen, warum ich lieber die Herbststürme abwarte: