Der Wendepunkt der Reise ist nicht der östlichste Punkt: Kirkenes liegt schon wieder ein Stück westlich von Vardø und nicht mehr im Einflussgebiet des Golfstroms, daher gibt es hier sogar schon Schnee. Die Lichtstimmung am frühen Morgen ist immer wieder beeindruckend und hat etwas unwirkliches. Die Stadt selbst ist einige Minuten vom Hafen entfernt, bietet aber nicht genügend Sehenswürdigkeiten, als dass ich jetzt noch einmal dorthin gehen müsste – ich war ja zuletzt vor neun Monaten dort. Der Ausflug zum Schneehotel oder die Huskyfahrt finden um diese Jahreszeit ebenfalls noch nicht statt: den Huskies ist es zu warm, und es gibt noch zu wenig Schnee, sodass weder Schlittenfahren noch Hotel bauen möglich sind. Die Alternative wäre die Fahrt zur russischen Grenze. Einige aus unserer Gruppe machen diese Tour auch: Durch die Flüchtlingskrise ist sie interessant geworden, da über Russland schon zahlreiche Flüchtlinge nach Europa kommen. Weil die Grenze nicht zu Fuß überquert werden darf, werden in Russland für ein Heidengeld Fahrräder verkauft, die hier dann entsorgt werden (oder vielleicht auch nach Russland gehen, um erneut verkauft zu werden). Der große Container, in dem sie einem Fernsehbericht zufolge landen, wird auf der Tour aber nicht gezeigt.
In Kirkenes leert sich das Schiff, es steigen nicht allzu viele Gäste zu – zu den Neuankömmlingen gehört aber auch eine Familie aus Syrien, die per Schiff in ein neues Flüchtlingslager gebracht wird. Die Welt ist klein…
Da die Nordkapp nächstes Jahr umgebaut werden soll, nutze ich die Gelegenheit, um noch ein paar Bilder vom leeren Schiff zu machen – die meisten Passagiere vertreten sich doch einmal die Beine in Kirkenes. Da ich die Nordkapp für das schönste Schiff der Flotte halte (ich mag voreingenommen sein), hoffe ich, dass sie ihren Charme behält. Wäre sehr schade drum – aber auch bislang hat ja jedes Schiff seinen eigenen Stil. Natürlich ist das Licht hier oben nicht besonders fotografenfreundlich, aber egal.
Die Überfahrt nach Vardø schaukelt ein wenig, ist aber noch weit von den gefürchteten Herbststürmen entfernt. Trotzdem erreichen wir Vardø erst kurz vor 16:00 – die Hurtigruten-App gibt 15:45 als Ankunftszeit an, der Fahrplan auf dem Schiff 16:00 Uhr… Wie dem auch sei, es bleiben immerhin gut 45 Minuten für die Stadt. Wer nicht selber Eisbaden will oder zumindest den Unverfrorenen dabei zuschauen möchte, kann die Festung Vardøhus besuchen (klein, aber hübsch), in das Museum über den Pomorenhandel gehen (etwas weiter weg) oder sich beeilen und das Hexendenkmal besuchen. Ich entscheide mich für letzteres – da kaum Schnee liegt, sollte der Weg jetzt im November machbar sein. Zu jeder größeren Stadt legt das Schiff ja Karten aus, diesmal ist der Weg sogar eingezeichnet. Gut 12 Minuten… Bei Schnee würde ich das nicht riskieren.
Für den größten Teil der Strecke gibt es Schilder, die einen durch den hübschen Ort lotsen. Ab Kirche und Friedhof beginnt das Abenteuer: Die Straßenbeleuchtung endet, und den Weg am Friedhof entlang muss ich mir mit der Taschenlampe suchen. Nach einem Parkplatz (soweit das in der Finsternis zu erkennen ist) geht es querfeldein: Ein paar Lichter sind am Fuß der Anhöhe zu erkennen, das muss es wohl sein. Quer durch den Acker stoße ich dann auf das langgestreckte Gebäude; je eine Rampe führt zu den Türen an beiden Enden des Steilneset minnested bzw. Heksemonument.
Es ist beeindruckend: Ich bin alleine in dem schummrig beleuchteten, langen Gang, und der Wind pfeift durch das Gebäude. Für jedes Opfer der Hexenverbrennungen gibt es eine Tafel mit den Anklagepunkten und ein kleines Fenster, in dem eine Glühbirne brennt. Viel mehr als fünf oder zehn Minuten bleiben mir leider nicht, da ich das Schiff nicht verpassen will – eigentlich viel zu wenig.
Der Rückweg ist spannend, da der Fußweg zur Kirche nicht zu sehen ist. Also wird wieder querfeldein durch Schnee und Wiese gejoggt, sodass ich dann rechtzeitig mit den Eismeertauchern wieder am Schiff bin. So faszinierend es ist, durch den Zeitdruck kann ich es als Exkursion nur bedingt empfehlen. Man muss schon bereit sein, ein paar Meter zu rennen.
Auf dem Schiff wartet dann auch gleich der nächste Programmpunkt: Moni hält ihren ersten Vortrag, nachdem wir an Vardø abgelegt haben. Es geht zwar über offene See, aber es ist ruhig genug für einen Blick auf die Sonne – der Stern von dem wir leben, und vor allem die Quelle des Polarlichts.
Nachdem wir Berlevåg abends um viertel nach zehn verlassen, begegnen wir der Finnmarken – und wieder gewinnt das andere Schiff die Winkekonkuranse, bei uns ist es ruhig. Wird Zeit, dass unsere Leute mal an Deck gejagt werden.
Nächsten Januar fahre ich ja mit der Finnmarken, mal sehen, was dann da abgeht:-) Aber wen interessiert die Lightshow der Schiffe, wenn es am Himmel gut abgeht: Wir haben ausreichend guten Himmel und tolles Polarlicht! Schon vor Berlevåg ging es los, und danach war tolle Show, direkt über uns. Endlich glauben mir alle, dass es wirklich grünes Polarlicht gibt – zumindest alle, die rechtzeitig an Deck sind. Wer zu früh schlafen geht, hat Pech, aber die Nachteulen werden von der Aurora in den Bann gezogen. Eine tolle Show, und viele strahlende Gesichter, als wir das anschließend im Svalbard-Salong feiern: Das Ziel ist erreicht, auch wenn nicht alle die ganz große Show miterlebt haben.