Das war’s – wir sind in Kirkenes, und gefühlt ist das nicht die Halbzeit der Reise, sondern fast schon das Ende. Ab heute Mittag geht es in Riesenschritten gen Süden. Das Gefühl liegt wohl vor allem daran, dass keine großen Häfen mehr kommen, und der letzte Tag ist die Anfahrt auf Bergen, also die Gegend tief im Süden. Was so natürlich auch nicht stimmt: Bergen liegt auch für Norwegen schon recht weit nördlich, wenn man sich die Bevölkerungsverteilung ansieht (und auf der Höhe der Shetland-Inseln), aber die Schiffe der Postlinie kommen nur für Werftaufenthalte noch weiter in den Süden.
Wie dem auch sei: Effektiv haben wir erst Tag 7, da kommt noch einiges auf uns zu – zu allererst wunderschöne Farbenspiele am Morgenhimmel des Varanger-Fjords. Vadsø, das wir als einzigen Hafen nur auf der nordgehenden Route anlaufen, verschlafe ich fast, aber als ich wenig später mit dem Frühstück fertig bin und raus schaue, lohnt sich der Griff zur Kamera.
Kirkenes klingt immer so nach Sehnsuchtsort am Ende der Welt, und nach einer großen Stadt. Mit rund 3400 Einwohnern ist Kirkenes trotzdem gerade mal so groß wie mein Heimatdorf, hat aber immerhin eine Werft (auf der noch nie ein Schiff gebaut, aber schon viele repariert wurden), eine Eisenerzverschiffungsanlage (für die stillgelegte Eisenerzmine, zu der auch eine Bahnlinie führt), einen Flughafen und ein russisches Konsulat. Dafür hat mein Dorf die schöneren Weinberge…
Bis wir von Bord gehen können, dauert es. Wir legen mit 20 Minuten Verspätung an, und erst eine Viertelstunde später verlassen die ersten Gäste über die Gangway das Schiff. Derweil wurde schon die halbe Fracht und das Gepäck derjenigen Gäste an Land gebracht, die uns hier verlassen. Wer an Deck wartet, kann zuschauen, wie Norwegen sein Staatsgebiet vergrößert: Am Hafen werden große Steine ins Meer gekippt. Mal sehen, wie das aussieht, wenn ich voraussichtlich nächsten Oktober wieder hier bin.
Der Hafen ist einen guten Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Ich mache auch diesmal wieder keinen Ausflug, obwohl mich der zur russischen Grenze schon reizen würde. Er beinhaltet auch den Besuch der Andersgrotta (einem Luftschutzbunker aus dem zweiten Weltkrieg, den die Bergarbeiter in ihrer “Freizeit” nach der Arbeit gegraben hatten) und eine Stadtrundfahrt. Seit dem Ukrainekrieg heißt der Ausflug 7A allerdings Fahrt zu norwegischen Grenze (oder auf Norwegisch immerhin Den norsk-russiske grensen), mit 1290 NOK ist er noch einer der günstigeren Ausflüge hier im Ort.
Stattdessen gehe ich wieder zu Fuß in den Ort, einmal durch den Hafen. Es liegen wieder einige russische Fischtrawler im Hafen. Fast direkt neben der Richard With liegen zwei fast so große Trawler/Fischverarbeiter, die baugleichen Kapitan Demidenko und die Kapitan Nazin, denen man ihr Alter von fast 30 Jahren nicht ansieht.
Während im Hafen Russen und Norweger nebeneinander liegen, zeigen sich im Ort schon eher die Differenzen. Neben dem Russendenkmal (das an die Vertreibung der deutschen Truppen durch die Russen im 2. Weltkrieg erinnert) ist ein Busch mit Herzen in den ukrainischen Farben geschmückt, und vor dem russischen Konsulat parkt ein blau-gelber Kleinbus mit der klaren Aussage “Stop War!”.
Nebenbei bemerkt: Einer der eindrucksvollsten Orte auf der Hurtigrute war für mich das Wiederaufbaumuseum in Hammerfest, das die Zerstörungen im Weltkrieg in Nordnorwegen darstellt. “Nie wieder Krieg” ist leider ein frommer Wunsch…
Davon abgesehen gibt es in dem Örtchen nicht viel Neues, es ist immer noch meilenweit von überall entfernt. Nur die Schrott-Kunst vor der Kimek-Werft ist neu, oder ich habe sie vorher noch nicht bemerkt.
Nach einem Gang durch das AMFI mit dem Outdoor-Laden gehe ich zurück zum Schiff. Kleine Schrecksekunde: Die Gangway ist oben – aber sie wird nur an den Gezeitenhub angepasst. Das passiert bei längeren Liegezeiten immer wieder, ansonsten würde sie in der Luft schweben, oder sie müsste das komplette Schiff tragen… Trotzdem kein Anblick, den man unerwartet sehen will.
Zurück an Bord warte ich darauf, dass unsere Ausflügler zurück kommen. Normalerweise wartet das Schiff ja auf niemanden, aber bei den offiziellen Hurtigruten-Ausflügen wird eine Ausnahme gemacht. Diesmal legen wir fast eine halbe Stunde zu spät ab – hoffen wir, dass der ein oder andere Ausflug davon profitiert hat, und die Hundeschlittentour nicht zu kurz war.
Das bedeutet natürlich auch, dass wir wieder einmal verspätet in Vardø ankommen werden. Wieder nichts mit dem Steilneset Hexendenkmal…
Die Überfahrt ist recht ruhig und mit Ausflugsinformationen und den Sicherheitsinformationen gefüllt, die alle neuen Passagiere ansehen müssen (nur die Sicherheitsinfos, nicht die Ausflüge, versteht sich). Um 15 Uhr ist dann Robert mit seinem nächsten Vortrag dran: Populäre Irrtümer in der Astronomie. Mal was anderes, aber auch unterhaltsam und interessant.
Anschließend erreichen wir Vardø mit nur einer Viertelstunde Verspätung. Von den Graffiti, die den Ort während meiner ersten Tour geprägt hatten, ist nicht mehr viel zu sehen. Da steht kein “Cod is great” mehr an abbruchreifen Häusern, stattdessen leuchtet uns ein “Make the North Great Again” entgegen.
Abzüglich der Zeit, die man vor dem Ablegen wieder am Schiff sein muss, bleibt eine knappe halbe Stunde für Vardø. Das ist für Steilneset wie erwartet zu knapp, langt aber für einen Kurzbesuch in der Festung Vardøhus. Es gibt doch einige glatte Stellen auf dem Weg, und hohe Schneehaufen…
Aktuell ist übrigens wohl Ebbe: Die Gangway ist jetzt eher eine Brücke, die hinab ins Schiff führt, und von den Bullaugen auf Deck 2 ist von Land aus nichts zu sehen. Direkt nach dem Ablegen macht das Expeditionsteam wieder sein Gathering, und dann gibt es Abendessen. Die See ist nur kurz nach dem Ablegen unruhig, sodass die meisten wohl das reguläre Drei-Gänge-Menü genießen können. Es gibt Rentier, während aus dem Bistro mittschiffs die Pizza lockt…
Båtsfjord als nächsten erreichen wir planmäßig nach recht ruhiger Fahrt, und die Wolkenprognose bestätigt sich: Es gibt nichts zu sehen. Heute haben wir wohl wirklich frei und Zeit, die Bilder der letzten Tage zu sichten.
Die Schiffsbegegnung mit der Nordnorge vor Berlevåg verpasse ich, weil es keine Durchsage kurz vorher gibt. Als ich zehn Minuten vorher draußen war, war es bedeckt bis regnerisch, und ich hatte das Treffen komplett vergessen. Immerhin: Es gibt nicht nur für die Begegnungen mit den Schiffen von Havila keine Durchsage, sondern auch keine für die Hurtigrutenschiffe. Dafür begrüßen sich die beiden Schiffe mit etwas mehr Gehupe, wobei früher vor Berlevåg deutlich mehr Halligalli war. Aber irgendwann war es den Anwohnern wohl zu viel.
Von Berlevåg selbst ist nicht viel zu sehen. Der kleine Anleger, an den immer nur ein Hurtigrutenschiff passt, ist am anderen Ufer des Hafens. Anschließend geht die Fahrt weiter, aber wir können wohl getrost Feierabend machen. Das leichte Schneetreiben an Deck macht keine Hoffnung auf Wolkenlücken, und das Polarlichtoval gibt auch nicht viel her. Aber mit etwas Glück haben wir morgen Abend bei Skjervøy klaren Himmel, und für Svolvær stehen die Chancen 50/50. Let’s hope for the best but expect the worst. Wir haben ja noch ein paar Tage.