Hui – wir passieren das Westkap in den frühen Morgenstunden, und es ist doch etwas Bewegung im Schiff. Das ist vielleicht der größte Vorteil des aktuellen Winterfahrplans mit der frühen Abfahrt aus Bergen: Die meisten liegen noch im Bett, als wir das Westkap passieren und die Richard With auf den Wellen reitet. Irgendwas um die drei bis vier Meter Wellengang war es wohl, wobei ich nicht weiß, wie hoch sie wirkklich da waren, wo wir entlang langfuhren. Mein Wecker stand auf 7 Uhr, und da war das meiste schon vorbei – wach war ich aber vorher schon. Aber arg schlimm kann es nicht gewesen sein, alles ist noch sauber im Regal.
Von der Polarnacht sind wir noch ein gutes Stück entfernt, und um zwanzig vor acht sind wir nicht nur in ruhigeren Gewässern kurz vor Torvik, sondern sehen auch schon die Morgendämmerung blau schimmern.
In Torvik machen wir nur kurz Station, sodass ich ohne Bedenken erst zum Frühstück und dann zur Reiseleitersprechstunde gehen kann. Wir nehmen die lange Tafel auf Deck 4 in Beschlag und stehen für Fragen zur Verfügung.
Draußen ist es aber auch schön: Die tiefstehende Sonne beleuchtet einige Wolken und gibt der schneearmen Winterlandschaft Farbe. Bei leichten Plusgraden kommt noch keine Winterstimmung auf.
Ålesund erreichen wir fast pünktlich, und da bleiben wir auch erst einmal. Von 9:45 bis 20 Uhr liegen wir hier. Die wenigen Wolken erinnern fast an UFOs…
Wer spontan genug war, kann mit der alten Bruvik in den Hjørundfjord fahren – kein billiger, aber ein schöner Ausflug; ansonsten gibt es ein paar kürzere Hikes, Stadtrundgänge und das Aquarium als Ausflüge. Das ist vor allem für die interessant, die schon von Deutschland aus Ausflüge vorgebucht haben, der Einschiffungsabend ist doch etwas hektisch, um sich da noch mit dem Ausflugsprogramm zu beschäftigen.
Ich mache meine übliche Runde erst auf den Aksla und dann auf den Storhaugen auf der anderen Seite des Jugendstilzentrums. Den Abstieg vom Aksla durch den Wald ersparen wir uns: Es liegt praktisch kein Schnee, aber schon auf den Treppen hoch auf den Aksla gab es ein paar schön vereiste Stellen. Der Aufstieg hat sich gelohnt, auch wenn der Ausblick fast der selbe war wie im November. Sogar die Normand Maximus, das große Vielzweckschiff, liegt noch links im Hafen.
Der Storhaugen ist deutlich leichter zu ersteigen, nur der direkte Weg zum Hafenbecken ist dann wieder etwas rutschig. Hier stehen auch noch viele alte Holzhäuser, die den Stadtbrand von 1904 überlebt haben, der damals über 800 Häuser vernichtete.
Und dann? Einmal durch das Jugendstilzentrum für die üblichen Fotos. Ich habe keine Ahnung, warum Landschaftsfotografen meinen, dass die Mittagszeit nichts für Fotos ist – die Sonne kommt gerade so über die gepuderten Berge und taucht die Stadt in ein hübsches Licht. Der Zufluchtstunnel unter der Stadt ist heute mit einem Gitter verschlossen
Dann mache ich noch einen Abstecher in den Bunnpris-Supermarkt, der auch am Sonntag offen hat, und decke mich mit Getränken für die Kabine ein. Das Leitungswasser ist zwar Trinkwasser, aber etwas mit Geschmack darf es dann doch ab und zu sein. Wir haben mit unserer Gruppenreise Kaffee und Tee frei, aber ich nehme mein Koffein lieber in kühler Form zu mir.
Und das war es dann eigentlich auch schon. Das Mittagessen lasse ich ausfallen und mache mir einen ruhigen Nachmittag, den ich nutze, um meinen nächsten Vortrag noch einmal durchzugehen – morgen geht das Programm los.
Abendessen gibt es auch noch im Hafen, erst um 20 Uhr legen wir ab. Um 19:45 gibt es dann den Welcome-Drink, bei dem wir Reiseleiter und Lektoren uns kurz vorstellen und ein paar Tips geben; Arno hat mittlerweile eine WhatsApp-Gruppe organisiert, über die sich alle mit Infos versorgen lassen können, die wollen.
Bis zum nächsten Programmpunkt ist noch etwas Zeit, um Spikes anzupreisen (nein, wir kriegen keine Provision) und einen Blick in den Shop zu werfen. Corona ist in Norwegen wohl offiziell endgültig vorbei: Masken und Desinfektionstücher gibt’s zum halben Preis.
Aber ganz vorbei ist es noch nicht, auch wenn es in Norwegen keinen mehr kümmert. Ein paar Fälle gibt es immer wieder. Zum Glück verläuft sich auf dem Schiff das meiste, und wenn es doch eng wird, bleibt immer noch die Option, eine Maske aufzusetzen. Schaden tut es nicht, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass ich im Flugzeug so ziemlich der einzige mit Maske war. Es herrscht fast wieder Normalität im hohen Norden.
Um 21:45 wird zu Norwegens Coastal Kitchen eingeladen, im Panoramasalon kann man Lamm-Häppchen probieren und Aquavit kaufen. Um 22:10 begegnen wir der Havila Capella. Die Schiffsbegegnungen mit der zweiten Reederei auf der Kystruten steht nicht im Tagesprogramm, aber die Schiffe begrüßen einander mit Lichthupe – kein Wunder, schließlich sind viele Crewmitglieder von Hurtigruten zu Havila gewechselt. Man kennt sich. Da 22 Uhr vorbei ist, wird aber nicht mehr gehupt, auch nicht, als wir endlich Molder erreichen. Die Gangway ist dann zehn Minuten nach der offiziellen Ankunft offen – das langt mir nicht, um noch einmal bei der alten Nordstjernen vorbeizuschauen. Das alte Hurtigrutenschiff überwintert gerade in Molde, aber wenn nur zehn Minten für einen Besuch bleiben, grüße ich sie doch lieber nur vom Deck der Richard With aus. Wer mal mit ihr fahren will: Mehr Infos gibt es auf Nostalgische-Postschiffreisen.de. So ein klassisches Schiff würde mich auch mal reizen, auch wenn ich den Luxus der aktuellen Hurtigrutenschiffe durchaus genieße.
Und damit endet unser erster ganzer Tag, und die richtige Seereise beginnt – es geht auf in den Norden, mit irgendwas um die drei Meter Wellen. Zeit für Feierabend.