Wir sind wieder in “Südeuropa”: Um 8:54 überqueren wir den Polarkreis in südgehender Richtung. Nach dem Polarlicht von letzter Nacht schaffe ich es nicht rechtzeitig aus dem Bett und sehe die Kugel nur vor dem Fenster vorbeiziehen. Aber nordgehend hat es ja geklappt, dann langt auch ein schneller Schnappschuss. Nachdem ich ISO, Autofokus und Weißabgleich zurückgestellt habe, kann man auf den Bildern sogar was erkennen. Der Polarlichtmodus taugt hier eher wenig…
Die Helgelandküste gilt als schönster Streckenabschnitt (aber den Titel könnte auch die Lofoten/Vesterålen-Küste von gestern tragen), ist aber auch der stressigste – vor allem, wenn man zum Arbeiten an Bord ist. Ein Termin jagt den anderen: Um 10 Uhr Polarkreistaufe, um 10:25 der kleine Hafen Nesna, um 11 Uhr mein letzter Vortrag über die Geschichte der Sternbilder und ihrer Sagen, dann das Mittagessen, um anschließend noch einen Blick auf Sandnessjøen zu erhaschen – zum Aussteigen langt es diesmal nicht.
Hinter Sandnessjøen liegen die wolkenverhangenen Gipfel der Sieben Schwestern – so wie es aussieht, unter der einzigen dicken Wolke in der ganzen Gegend. Egal – da wird an Deck ausgeharrt, während auf Deck 7 beim Interessepunkt die Geschichte der Bergkette erzählt wird. Und das Wetter hat Erbarmen: Es reißt beinahe auf, und die Bergkette bietet doch noch einen wunderschönen Anblick.
Damit ist es etwa dreizehn Uhr, und es gibt fast zwei Stunden Pause, in denen ich Bilder sortieren und die Landschaft genießen kann. Mittlerweile steht auch fest, dass der Ausflug 11B – die geheimen Räume des Nidaros-Doms – wieder nicht stattfinden würde. Schade, denn diesen Ausflug hatte ich schon einmal erfolglos probiert, aber die Mindestteilnehmerzahl wurde wieder nicht erreicht.
Am Nachmittag macht sich schon der neue Fahrplan bemerkbar: Wir nähern uns Brønnøysund mit seiner beliebten Eisdiele am Kai, für die mir dieses Mal keine Zeit bleibt. Der Aufenthalt in Brønnøysund wurde nämlich um eine Stunde verlängert und dauert nun von 15 bis 17:30. Damit gibt es ausreichend Zeit für einen neuen Hike mit dem Expeditionsteam: 10D, Wanderung zum Torghatten-Loch. Und ich bin dabei!
Für 990 NOK bringt uns der Bus in einer halbstündigen Fahrt zu dem Parkplatz in der Nähe des Campingplatzes am Fuß des Torghattens. Von dort dauert der Aufstieg zum Loch in rund 110m Höhe noch einmal etwa eine halbe Stunde. Für einen Wanderer mit halbwegs ordentlicher Kondition ist das kein großes Problem; nach einer Woche Hurtigrute kommt man doch schon ins Schwitzen. Der Weg führt über einiges an Geröll, sodass man trittsicher und gut zu Fuß sein sollte; Schwindelfreiheit ist nicht erforderlich.
Am Ende geht es noch über ein kleines Geröllfeld, dann steht man schon am oberen, kleineren Ende des Lochs. Ganz schön groß und eindrucksvoll, der Aufstieg hat sich gelohnt. Zurück bietet sich ein grandioser Blick grob Richtung Brønnøysund, und über uns die Decke eines Lochs, in das unser Schiffchen ziemlich genau hinein passen würde. Von da aus geht es noch ein Stück weiter über das Trümmerfeld am Fuß des Lochs, bis es über eine steile Holztreppe hinab ins Loch geht – mit Blick auf die Schärenlandschaft. Das war wirklich jeden Schweißtropfen wert!
Am Ziel bleibt wie immer viel zu wenig Zeit, vielleicht 10 oder 15 Minuten haben wir im Loch. Ein paar Fotos, ein paar Momente Norwegen genießen, noch ein paar Vögel gucken – dann ruft uns unser Guide auch schon dazu auf, mit dem Rückweg zu beginnen.
Das Schiff wartet nicht, und es geht zügig, aber nicht übereilt zurück zum Bus, wo uns Kaffee und ein Stück Kuchen erwarten. Dann ab zum Schiff, das wir zwei Minuten vor der geplanten Abfahrt erreichen.
Und weiter geht das Programm: Wir legen ab und passieren den Torghatten kurz nach 18 Uhr. Jetzt sehen wir das Loch, in dem wir gerade noch standen, und einen prächtigen Sonnenuntergang.
Aber die Sonne muss sich beeilen, denn um 18:30 ruft schon das Captain’s Dinner – viele Passagiere steigen bereits in Trondheim aus, daher findet das Abschiedsessen bereits heute statt.
Der vorletzte Programmpunkt ist Rørvik um 21 Uhr. Eine halbe Stunde Aufenthalt haben wir, was früher knapp zu einem Besuch auf der entgegenkommenden Hurtigrute gelangt hatte. Da diese Schiffsbegegnung nun auf hoher See stattfindet, steht für mich ein kurzer Gang zum Coop auf dem Plan – Leergut zurückbringen. Dumm nur, dass der Coop Mega wegen Starßenbauarbeiten nicht erreichbar ist. Also ein paar Meter weiter zum Kiwi, im Schnelldurchgang zu Pfandautomat und Getränkeregal, bezahlen und retour zum Schiff.
Und jetzt noch Polarlicht, dann wäre das Tagesprogramm auch geschafft. Allerdings haben wir nur sternklaren Himmel, das Polarlicht schafft es heute nicht zu uns in den Süden. Nur der kleinen MS Lofoten begegnen wir gegen 21:45 und schmunzeln über ihr Hupen. Also endlich eine Chance, um etwas Schlaf nachzuholen.
Keiner hat je behauptet, dass die Hurtigrute ein Erholungsurlaub wäre – nur dass sie wunderschön ist.