Das Fosshotel Núpar war unsere Unterkunft für die Nacht. Ein interessanter Bau: Ein Containerdorf im Nirgendwo. Aber egal: Zum Übernachten langt es locker; und vor ein paar Nächten im Ibis Budget in Essen habe ich deutlich schlechter geschlafen und gefrühstückt. Die Mehrbettzimmer haben alles, was man braucht: Bequeme Betten und jede Menge Steckdosen. Blöd nur, dass ich vergessen habe, mein Funkgerät über Nacht auszuschalten bzw. zu laden… Das Hotel ist zwar nicht mein üblicher Standard, aber mit Abenteuerurlaub hat es auch nicht viel zu tun. Island ist komfortabel geworden.
Das Ödland, indem das Hotel liegt, ist typisch für den nächsten Abschnitt unserer Tour. Heute stehen 457 Kilometer an, die uns bis an die isländische Ostküste bringen werden. Der erste Streckenabschnitt führt durch die trostlosen Weiten des Skeiðarársandur. Ein Sander ist eine Schwemmlandebene, und der Skeiðarársandur ist 50 km lang und bis zu 30 km breit. Erst seit 1974 durchquert eine feste Straße dieses Gewirr aus Gestein und Flussläufen, die immer wieder ihren Lauf ändern. Während der Schneeschmelzee und bei Gletscherläufen führen sie Unmengen von Wasser mit sich. Die letzte große Überschwemmung war 1996 – die Reste einer Brücke, die damals zerstört wurden, stehen immer noch am Straßenrand als Flutdenkmal, drei Kilometer hinter der mit 964 m längsten Brücke Islands. Vom Flutdenkmal sind auch Gletscher zu sehen – Ausläufer des Vatnajökull.
Vom Flutdenkmal aus war es nicht mehr weit bis zu unserem nächsten Ziel: Dem Besucherzentrum des Skaftafell-Nationalparks. Zwei Wanderwege passen in unseren Zeitplan: Entweder zum Skaftafellsjökull, einem Gletscher, oder zum Wasserfall Svartifoss. Für beide Touren sind je eineinhalb Stunden einzuplanen, wir entscheiden uns mehrheitlich für den Svartifoss – so viele Wasserfälle hatten wir ja bislang nicht. Ich schleppe mein Stativ mit (ich sollte doch mal über ein Carbon-Stativ nachdenken. Oder einen Tragegurt, wenn ich die Tragetasche nicht mitnehme. Die Einkaufsliste wächst mit jeder Tour…) – Fototime!
Auf dem Weg zum Svartifoss kommen wir erst am kleinen Hundafoss vorbei, bevor der Svartifoss dann sichtbar wird – aus der Ferne eine kleine, schwarze Basaltwand in der Landschaft.
Foto-Stopps haben einen Nachteil: Bis man am Ziel ist, sind die ersten Kollegen schon wieder auf dem Rückweg. Naja, nicht mein Problem, wenn man sich keine Zeit nimmt. Ich bin doch nicht zum Spaß hier – also mache ich es mir im Fluss bequem, wo ich freien Blick auf den Wasserfall habe, und nehme einige Belichtungsreihen auf. Macht Spaß:-)
So langsam wird das mit dem Wasserfallfotografieren, und wenn man die Kamera weit genug im Abseits aufbaut, sieht man auch die Spuren der Zivilisation nicht auf den Bildern. Schließlich ist der Svartifoss nicht unbekannt und der Weg dahin gut ausgebaut. Nach der Fotosession wird es dann auch schon wieder Zeit für den Rückweg, schließlich haben wir für den Jökulsárlón Karten vorbestellt.
Rund 70 km sind es bis zu diesem Gletschersee. Direkt davor überqueren wir die Jökulsá, mit 800 Meter Islands kürzester Fluss. Sie entspringt dem Gletschersee Jökulsárlón, der mit Amphibienfahrzeugen befahrbar ist. Wir machen eine Tour mit: Für etwa 30 Minuten kurven wir über den See, knipsen Eisberge und Robben und lassen ein Stück Eis durchgehen.
Sogar die Sonne lässt sich blicken und bringt das Farbenspiel der Eisberge noch besser zur Geltung. Der See ist nur etwas über 100 Jahre alt – erst seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich der Gletscher Breiðamerkurjökull so weit zurückgezogen, dass See und Fluss entstanden sind. Nach der Fahrt steht noch ein Besuch im Kiosk an; ein Restaurant für das Mittagessen ist auf unserer heutigen Route kritisch – also muss Proviant gebunkert werden. Es gibt belegte Sandwiches…
Der nächste Stop ist nicht weit weg: Die “Diamond Beach” an der Mündung der Jökulsá ist ein weiterer Strand aus schwarzer Lava, auf dem zahllose kleinere Eisberge liegen und sich als vergängliche Fotomotive anbieten. Nur die Brandung boykottiert ein paar Aufnahmen… Auch wenn es dekadent erscheint: Wir sind zum Strand gefahren. Agressive Seevögel verleiden einem den Fußweg am Fluss entlang.
Nach der Diamond Beach heißt es Kilometer schrubben – bis Egilsstaðir (mit über 2300 Einwohnern die größte Stadt im Osten Islands) stehen keine wichtigen Ziele auf dem Plan, und gehalten wird nur, wenn die Gegend interessant aussieht. Zum Beispiel für einige der 3000 isländischen Rentiere, auch wenn es nicht so leicht ist, mit der kleinen Wagenkolonne immer gleich einen Parkplatz zu finden.
A propos: Parkende Autos am Wegesrand sind oft ein Hinweis darauf, dass es etwas zu sehen gibt. So haben wir auch das Hvalnes Naturschutzgebiet gefunden. Noch ein schwarzer Strand, an dem viele Vögel brüten sollen. Tja, was soll ich sagen: Haben wir den auch gesehen. Die Küstenlandschaft fand ich imposanter.
Der Sveinstekksfoss stand dagegen ganz regulär auf dem Plan – ein hübscher, etwas versteckter Wasserfall. Die Piste dorthin ist etwas steil, lohnt sich aber. Der Wasserfall wird durch eines der seltsamen Tore geschützt, die wohl Tiere abhalten sollen.
Der Abstecher lohnt sich, wie auch ein weiterer: Wir verlassen die Ringstraße und nehmen eine Alternativroute nach Egilsstaðir, die landschaftlich reizvoller und schöner zu fahren ist. Durch eine verschneite Landschaft geht es an der Küste entlang auf der Route 92, inklusive einem fast sechs Kilometer langem Tunnel mit Blitzern. Normalerweise wird in Island wohl aus Autos heraus geblitzt, aber hier im Tunnel wird auch mal was anderes ausprobiert. Außerhalb des Tunnels gibt es immer wieder strahlend blauen Himmel und eine zunehmend winterlich-verschneite Landschaft. Unser Reiseziel ist der Fährhafen Seyðisfjörður, da wir in Egilsstaðir keine Zimmer mehr gefunden haben.
In Seyðisfjörður legt die Fährverbindung zu den Färöer-Inseln an – das Schiff sehen wir auch noch, bevor es ablegt. Unsere Unterkunft sind zwei schmucke kleine Ferienhäuser von Lónsleira Appartments, die nur einen Nachteil haben: Zwei Bäder für zehn Leute, was gerade morgens einige Logistik nötig macht. Als Fahrer kann ich zum Glück eine Spätschicht im Bad durchsetzen…
Frühstück gibt es in dem Örtchen keines, aber im Skaftfell eine gute Pizzeria, die auf unser Kommen vorbereitet wurde. Die Einrichtung ist rustikal-pragmatisch und urgemütlich, das Essen empfehlenswert.
Seyðisfjörður selbst hat noch etwas weniger als 700 Einwohner, Tendenz wie in weiten Teilen Ostislands sinkend. Dementsprechend machen viele Häuser auch einen heruntergekommenen Eindruck – wer weiß, wie viele mittlerweile verlassen sind? Ein Konstrukt namens Tvísöngur hat mein Interesse geweckt, und ein vormitternächtlicher Verdauungsspaziergang führt durch den Ort an einigen Wasserfällen vorbei zu dem Bau. Unterwegs sehen wir unter anderem eine Kanone des Tankers El Grillo, der hier 1944 von deutschen Bombern versenkt wurde, und das Technikmuseum direkt neben dem unscheinbaren schwedischen Konsulat. Die Stadt wurde als erste in Island voll elektrifiziert wurde.
Nach mehreren Wasserfällen fanden wir – immerhin war ich am Ende der Tour nicht ganz alleine, Sandra nahm auch jedes Stückchen Island mit – kurz vor Mitternacht die Kuppeln des Tvísöngur. Das Bauwerk soll die Fünfklangharmonie traditioneller isländischer Musik darstellen oder so – ganz bin ich mir über die Funktionsweise nicht im klaren, aber zumindest gab es einen schönen Ausblick auf die Stadt. Die hellen Nächte sind irritierend, daher stand uns eine kurze Nacht bevor, nachdem wir wieder zurück in den Ferienhäusern waren…