Kaum zu glauben: Schon ist Halbzeit, und wir sitzen wieder im Auto, fahren durch – gefühlt – die verschneiten Alpen (der Pass zwischen Seyðisfjörður und Egilsstaðir ist immerhin rund 600 Meter hoch) und sind auf der Suche nach etwas zu essen, da in Seyðisfjörður niemand Frühstück anbietet. Immerhin tanken konnten wir noch im Ort, und Auto waschen. Irgendwo hinter Egilsstaðir plündern wir eine Bäckerei, und dann steht Fahrerei an: Bis zum Dettifoss sind es über 300 Kilometer durch den einsamen Nordosten Islands.
Die gut drei Stunden lange Fahrt ist trotzdem abwechslungsreich: Über die gut ausgebaute Ringstraße geht es erst durch grüne oder braune Täler, bis wir an Höhe gewinnen und weiter in das Landesinnere kommen. Näher am Dettifoss wird es dann unangenehm: Starker Wind schüttelt das Auto durch, während das Navi uns über Schotterpisten zu Straßensperrungen lotst. Erst im zweiten Anlauf gelangen wir zum Dettifoss, aber am oberen Parkplatz, nicht wie ursprünglich geplant am Fuß des Wasserfalls.
Der Wind: Wow. Kein Wunder, dass das Auto gewackelt hat. Der Besuch der Dixi-Klos am Parkplatz war dadurch ein echtes Erlebnis… Eins ist gewiss: Wenn ich nochmal nach Island gehe, kommt ein Windmesser mit. Trotz des Wetters ist der Parkplatz morgens um halb zwölf gut besucht. Der Fußweg zum Wasserfall wird immer wieder neu ausgeschildert, je nachdem, welche Route gerade begehbar ist und welche ins Wasser führt.
Wir gehen zuerst zum Selfoss, etwa einen Kilometer oberhalb des Dettifoss. Die Route hat noch gut Schnee, aber mit Profil an den Schuhen ist sie kein großes Problem – man darf nur nicht zu langsam werden oder über fernöstliche Touristen stolpern, die kein Auge für die Umgebung haben. Durch Schnee und Wasser erreichen die die Weggabelung Dettifoss/Selfoss und dann den Selfoss.
Die meisten strömen wohl direkt zum Dettifoss, daher ist es am Selfoss relativ ruhig. Aus einem gewissen Abstand lässt er sich gut überblicken; das Wasser strömt vom Wind unbeeindruckt über die Basaltklippen – hier ist es aber auch etwas windgeschützter als am höher gelegenen Parkplatz. Beim Rückweg begegnen wir Isländern, die die Wege neu markieren und uns den Rat geben, am besten gleich die Seite zu wechseln – das Wasser wird nicht weniger.
Richtung Parkplatz tauchen auch immer mehr Menschen auf – es ist eindeutig Zeit, zum Dettifoss zu gehen, bevor es zu voll wird. Dort angekommen, bietet eine kleine Plattform einen sicheren Ausblick auf den Wasserfall. Die Ablagerungen im Gestein sind für mich das faszinierendste an ihm.
44 Meter stürzt das Wasser hier in die Tiefe, mit 200 bis 1500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ist er der wasserreichste Wasserfall Europas. Superlativ hin oder her, ein Wasserfall zum Anfassen wie der Gluggarfoss fasziniert mich mehr. Der Dettifoss bleibt irgendwie unbegreifbar, unnnahbar. Aber immerhin war jetzt noch kein Eintrittsgeld fällig, in der Hochsaison ist das mittlerweile anders. Wenn ich mir anschaue, wie viel jetzt schon los ist, will ich aber auch nicht wissen, wie voll es hier zur Hochsaison ist.
Wie dem auch sei, wir entgehen dem Wind und den Menschenmassen und suchen wieder den Weg zur Ringstraße Richtung Myvatn. Am nächsten Ziel ist es wärmer, dummerweise vergesse ich, das Gebläse vom Auto rechtzeitig auf Umluft zu stellen: Wir fahren zum Krafla-Kraftwerk und den benachbarten Vulkankratern, dementsprechend schwefelgeschwängert ist die Luft. Fast wie früher im Chemielabor… Der Aufstieg zum Kraterrand – wohl der Vití, der 1724 entstand – ist dank Rückenwind easy.
Sich am Kraterrand aufzuhalten ist dagegen weniger leicht, dafür kann man sich gut in den Wind lehnen. Wenn da nicht das Gefühl wäre, sandgestrahlt zu werden… Ein Stück hinter dem Krater dampft es aus einer Spalte hervor, in der Schwefelablagerungen für scheinbar außerweltliche Farbenspiele sorgen.
Eine Stunde Fußweg von unserem Parkplatz liegt die Vulkanspalte Leirhnjúkur, die immer noch aktiv sein soll. Genau wie den eigentlichen Krafla schenken wir uns diese Tour jedoch; am Vití im Wind zu stehen macht genug Spaß und stresst die Akkus genug – erst im Auto springt manches Handy wieder an.
Das nächste Ziel liegt tiefer, stinkt aber noch mehr: Bei Hverir wurde noch vor 150 Jahren Schwefel für die Schießpulverherstellung abgebaut. Ein paar Fundamente zeugen noch von der Industrievergangenheit, viel eindrucksvoller sind die mannshohen Steinhaufen, aus denen heiße Gase ausströmen, ebenso die Schlammvulkane, die vor sich hinblubbern – und zum Glück nicht Geysir spielen. Die gefährlichen Gebiete sind mittlerweile abgesperrt, Plattformen erlauben einen sicheren Blick auf die brodelnden Schlammlöcher. Hier ist der starke Wind ein Segen, solange man keine der Wolken abkriegt.
Kein Ort, wo ich länger Urlaub machen wollte, geschweige denn arbeiten. Auch hier ist in der Urlaubszeit ein Eintrittsgeld fällig; für die paar Besucher im Mai zum Glück noch nicht. Fairerweise hätte ein Kiosk oder Restaurant hier aber einen schweren Stand, auch wir suchen rasch das Weite und frische Luft.
Der nächste Stopp war früher eine beliebte Badegelegenheit, heute ist Baden verboten. Dass wir zu spät sind, liegt aber nicht nur an der zunehmenden Bekanntheit, sondern vor allem an der Temperatur: Irgendwann stieg sie auf 60° an, seitdem ist Baden in der Grotte Grjótagjá verboten. Mittlerweile ist die Temperatur wieder gefallen, aber bei den ständig neuen Besuchern ist die Lust auf ein Bad auch eher gering – früher muss es eindrucksvoll gewesen sein, in Ruhe in diesen unterirdischen warmen See zu steigen. Das kristallklare Wasser würde einen regen Badebetrieb aber kaum überstehen, befürchte ich.
Von den Wasserfällen mal abgesehen liegen alle heutigen Tagesziele nah beieinander, im Myvatn-Gebiet. Unser letztes Ziel ist nur drei Kilometer entfernt: Dimmuborgir, die dunklen Burgen. Nur eines ist vorher zu zu überwältigen: Ziegen. Der Fotostop muss sein, wenn man in Island schon mal auf Lebewesen trifft… Neben den Ziegen ragt auch schon dunkle Lava wie eine Mauer auf, und irgendwann stehen wir vor einem Gatter – freilaufende Ziegen gibt es auch in Island nicht.
Wir lassen die ausgeschilderte Pizzeria rechts liegen und steuern stattdessen Dimmuborgir an, die dunklen Burgen – ein ausgedientes Lavafeld, das nicht von dieser Welt zu sein scheint.
Eine ganze Reihe von Wanderwegen durchzieht dieses irre Gebiet, bei dem man sich unweigerlich fragt: Wer baut so was? Die Lavaformationen erinnern wirklich an verfallene, urzeitliche Festungen. Statt Orks sollen sich hier aber die Gesellen des Weihnachtsmanns rumtreiben. Es ist nur Zeit für eine Stipvisite eingeplant, aber ausgerechnet die, die nur kurz reinschauen wollen, verlaufen sich und machen die große Runde – wer sich auf den mittellangen Rundweg gemacht hat, hatte daher noch genug Zeit für den Souvenirshop…
Der mächtige Krater Hverfjall, der die Landschaft dominiert, lädt ebenfalls zu einem Besuch ein. Er entstand vor rund 2500 Jahren bei einer Wasserdampfexplosion – Magma traf auf Grundwasser, und das Ergebnis dieser Explosion rieselte senkrecht herunter und formte den mächtigen Tuffring. Es gibt wohl nur wenige vergleichbare Strukturen auf der Welt. Wir kommen ihm allerdings nur auf Sichtweite nahe, für einen Besuch kommt keine Mehrheit zustande. Stattdessen geht es zu den Ferienhäuschen, die wir für die Nacht gebucht haben.
Die Häuschen sind ziemlich neu und richtig süß: Ein Zimmer, Schlafzimmer, Kochecke, Bad und Hot Pod. Der Hot Pod wird mit warmem Grundwasser gefüllt und zusätzlich beheizt; ganz so entspannend wie ein norwegisches Bobblebad ist das allerdings nicht. Trotzdem nett.
Da die Umgebung der Häuschen außer Wasserfällen nicht viel zu bieten hat, fahren wir für das Abendessen nach Húsavík. Das Städtchen macht einen hübschen Eindruck: Gepflegte Häuser und weniger ungepflegt oder lieblos gebaut als in anderen Orten, in denen wir bislang waren. Hübsch. Der Hafen ist auch für Tourismus ausgelegt: Einige Boote bieten Walsafaris an, auch auf Segelbooten, teilweise mit regenerativem Zusatzmotor. Auf Touristen ist der Ort trotzdem nur bedingt eingerichtet: Ein Restaurant wird gerade saniert, eines hat über eine Stunde Wartezeit, und das war’s dann eigentlich auch schon so ziemlich für zehn Leute… Wir reservieren einen Platz und nutzen die Wartezeit für einen Gang durch den Ort und um Getränke zu kaufen.
Mit etwas über 2200 Einwohnern ist auch Húsavík überschaubar, sodass wir mehr als rechtzeitig wieder im Restaurant sind. Auf der Speisekarte stehen vor allem Burger, aber zum Glück nicht nur… Der Laden selbst ist urgemütlich, und das Essen schmeckt auch. Dann steht für den Tag nur noch an, zurück zur Unterkunft zu fahren und zu schauen, was der Hot Pod hergibt.