Und schon ist Halbzeit: Als ich aufwache, verlassen wir gerade Vadsø, den einzigen Hafen, den wir nur auf der nordgehenden Route besuchen – von hier ist es nur ein Katzensprung bis Kirkenes, dem Endpunkt (aber nicht dem nördlichsten Punkt) der nordgehenden Route. Ein Blick auf’s Handy, den Wecker ausschalten: Um ein Uhr gab es noch eine Nordlichtsichtung. Toll. Zwar auch nur Kp 3, aber immerhin mit etwas mehr Wolkenlücken. Das muss doch nochmal klappen…
Wie dem auch sei, ich gehe kurz an Deck, einen Blick zurück auf Vadsø werfen: Es liegt unter mächtigen Wolken. Dafür ist die Fahrt durch den Varangerfjord ruhig: Kaum Wellen, und bald kommt das herbstlich-farbenfrohe Ufer wieder in Sicht, das mit gelben Buchen sowie grünen Büschen und Flechten auf dem grauen Stein einen hübschen Anblick bietet.
Kirkenes erreichen wir pünktlich, zusammen mit (sehr) leichtem Nieselregen. Peter will die große Runde zum Grenzlandmuseum drehen, ich will im Amfi und dem Outdoorladen vorbeischauen. Wir gehen ein Stück zusammen, und einige Gäste machen sich gemeinsam mit uns auf den Weg – aber jeder geht auf eigene Faust, da ist nur Gruppendynamik, kein Gruppenzwang. Das ist auch gut so: Ich arbeite meine Einkaufsliste ab, und wer sich mir an die Fersen heftet könnte eventuell glauben, eine Butterfahrt gebucht zu haben. Aber nach Kirkenes steht nur noch Rentierwurst in einem der letzten Coops auf der Liste, die Fahrt wird billig:-)
Der Gang durch das herbstliche Kirkenes bietet eine Neuheit: Die Türe der Anders-Grotte steht offen, der Ausflug zur russischen Grenze macht hier gerade einen Zwischenstop. Wir können diesen alten Schutzbunker zwar nicht besichtigen, aber es langt für einen schnellen Blick hinein.
Ansonsten gibt es in Kirkenes nicht viel Neues, und an diesem Freitagmorgen sind die Straßen wieder wie ausgestorben. Die Kirche hat zu, das Amfi-Einkaufszentrum offen: Viel finde ich diesmal nicht, aber ein bisschen Shoppen muss sein. Danach verlasse ich unsere Gäste und mache mich auf den Rückweg – es sieht nach Regen aus, und das Grenzlandmuseum oder der berühmte Aussichtspunkt – die Straßenkurve über dem Ort – reizen mich heute nicht.
Kirkenes ist Grenzstadt zu Russland, und den Konflikt merkt man hier auch. Einerseite ist man mit dem Nachbar doch anders verbunden als die fernen Hauptstädte, und die Erinnerung an den 2. Weltkrieg ist noch wach: Damals hatten die Russen die deutsche Wehrmacht vertrieben und blieben als Befreier in Erinnerung, während die Deutschen verbrannte Erde hinterließen.
An einer Stelle im Ort steht das Russenmonument und erinnert an die einstigen Befreier, das Kriegsmütterdenkmal erinnert an das Leid der Bevölkerung, und ein Kleinbus erinnert an den Ukrainekrieg. Die Kimek-Werft treffen die aktuellen Spannungen besonders: Sie lebt unter anderem davon, russische Fischtrawler über Wasser zu halten. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und Sanktionen hat sich ihr Umsatz mehr als halbiert.
Zuletzt mache ich noch einen Abstecher in den Sparemarkt im Hafen. Es gibt Dirndl und Sonnencreme im Angebot. Was man halt so braucht…
Und dann: Zurück auf Schiff. Wir legen mit ein paar Minuten Verspätung ab, die Überfahrt nach Vardø wird durch das Treffen mit dem Expeditonsteam um 14 aufgelockert, sonst geschieht nicht viel.
Während auf backbord die großen Radarkuppeln die Blicke auf sich ziehen, erhebt sich vor uns das Vogelparadies Hornøya mit dem Leuchtturm von Vardø. Die Info-Durchsage verstehe ich am Bug leider nur schlecht, aber anscheinend hat die Vogelgrippe in der Kolonie ordentlich gewütet. Mal sehen, ob die Bestände sich erholen – jetzt ist die Vogelsaison ohnehin vorbei.
Vardø erreichen wir trotz unserer verspäteten Abfahrt rechtzeitig, damit bleibt ausreichend Zeit für einen raschen Gang zum Hexendenkmal – bei Tageslicht und mit bald 50 Passagieren. Die kleine Festung Vardøhus lasse ich also rechts liegen und gehe quer über den Acker, jetzt sieht man den Weg mal. Das Denkmal besteht aus einem langgestreckten Gang, in dem 91 Glühbirnen an die Männer und Frauen erinnern, die hier im 17. Jahrhundert als Hexen verbrannt wurden.
So eindrucksvoll das auch ist: Wenn 50 Leute in fünf Minuten durch das Gebäude hetzen, hat man nicht viel davon. Zum Glück war ich unter den letzten, die hier ankamen – aber eindrucksvollsten war mein erster Besuch hier: In finsterer Nacht mit Taschenlampe den Weg gesucht und alleine in dem sturmumtosten Bauwerk gewesen… Heute konnte es seine bedrückende Atmosphäre kaum entfalten.
Zurück an Schiff bleibt vor dem Abendessen um 18 Uhr noch etwas Zeit für Gespräche. Es geht natürlich um das Wetter – die Polarlichtprognose ist gar nicht so mies, und irgendwo ist – je nach Wettermodell – auch eine Wolkenlücke. Es könnte klappen.
Nach dem Abendessen der Blick nach draußen: Tiefschwarze, drohende Wolkenberge über dem Festland, ein kleiner heller Streifen über der See. Puh… und das Polarlichtoval ist fast ganz weg.
Bis Båtsfjord tut sich nicht viel, dann klart es langsam auf, nur von Polarlicht keine Spur, dafür beleuchtet der Vollmond die Wolken ganz hübsch. (A propos es tut sich nicht viel: Die Kong Harald ist musikalisch, sowohl Giske als auch Johan unterhalten abends im Panoramasalon gerne mit Gesang – und zwar richtig gut.)
Berlevåg gegen 22 Uhr: Man sieht sogar ein paar Sterne, das Wetter würde mitspielen – nur das Weltraumwetter nicht. Da oben ist tote Hose, nichts zu merken von dem Schuss, der von von der Sonne erreichen soll. Dafür gibt es eine nette Schiffsbegegnung mit der MS Vesterålen.
Langsam werde ich ungeduldig, und die ersten Gäste geben auf: Morgen für um 5 klingelt der Wecker für alle, die das Frühstück am Nordkap gebucht haben. Ich halte bis Mitternacht durch: Jetzt fahren wir wieder in eine dichte Wolkendecke hinein, das war es dann für diese Nacht. Außer Mond nichts los – aber immerhin hat der ein paar schöne Bilder ermöglicht.
Also Feierabend…