Jetzt geht es in den hohen Norden: Wir überqueren den Polarkreis. Das bedeutet: Der Wecker klingelt um kurz nach 7, weil wir ja irgendwann so grob zwischen 7 und 8:45 den Polarkreis bzw. das Polarkreismonument auf der Insel Vikingen passieren.
Gegen halb acht kommt dann die Durchsage, dass es in zehn Minuten so weit ist. Also ab in die Klamotten und auf das Umlaufdeck. Im September ist es schließlich noch hell genug, dass die Bilder der Kugel was werden können.
Was gegen schöne Bilder spricht: Das etwas kontrastarme Wetter. Der Blick zurück nach Süden sieht nicht nach sonnigem Süden aus, auch wenn die Temperaturen durchaus angenehm sind. “Dramatisch” beschreibt den Himmel eher.
Überraschenderweise passieren wir die Insel Vikingen in größerem Abstand und sehen sie zur Abwechslung an unserer rechten Seite vorbeiziehen statt wie gewohnt an der backbord-linken Seite. Und ich dachte schon, ich hätte mich bei der Durchsage verhört.
Als wir uns nähern, kommt noch ein kleiner Regenschauer runter – aber das ist nicht die Polarkreistaufe, die kommt später. Jetzt müssen wir erst mal rüber! Der angekündigte Holperer am Polarkreis fällt mal wieder aus, stattdessen segeln wir ruhig an der Insel vorbei, bis der Schiffstyphoon die morgendliche Idylle beendet. Der Regen hat auch schon wieder aufgehört: Willkommen im Norden!
Bei dem respektvollen Abstand, den wir halten, hätte ich gerne ein stärkeres (und lichtstärkeres) Zoom an der Kamera statt meinem Allround-Objektiv…
Dann bin ich kurz in der Kabine, meinen Vortrag vorbereiten (mit der aktuellen Wetterprognose), werfe einen Blick ins Restaurant (immer noch zu voll zum Frühstücken) und gehe nicht duschen, weil just in diesem Moment die südgehende Havila Castor angekündigt wird. Also ab auf Deck, Schiffchen knipsen und winken, und an Deck ein paar Infos zur Geschichte der Hurtigrute und über unseren “Marktbegleiter” geben, und dann entscheide ich mich doch noch für ein schnelles Frühstück.
Und dann ist auch schon fast 9:30, und mein kurzer Vortrag zum Mond steht an. Eigentlich hatte ich wegen dem Termin ja fast ein schlechtes Gewissen, weil er direkt vor Ørnes ist, einem der schönsten Häfen – insbesondere im Winter, wenn das Örtchen als Postkartenidylle zwischen hohen, verschneiten Bergen in seinem kleinen Fjord liegt. Aber bei diesem Wetter ist das okay, und ich brauche nur eine knappe halbe Stunde, sodass alle rechtzeitig an Deck können, um einen Blick zu erhaschen und eine Naturdusche zu nehmen, bevor die Polarkreiszeremonie ansteht.
Die Berge sind von Wolken verhüllt, und man merkt, dass man im Land der Trolle ist – da kann der Meeresgott Njørd, der hier statt Neptun die Polarkreistaufe durchführt, nicht mehr weit sein. Bis es soweit ist, kann man sich in minimalistischer Fotografie üben. Thomas Heaton (dem ich auf Youtube folge, auch wenn seine Landschaftsfotos langsam ins abstrakte abdriften und immer weniger Motiv zeigen) würde sich hier wohlfühlen; ich hätte im Herbst gerne etwas mehr Farbe im Bild. Aber so hat das Naturerlebnis, die raue Wildnis Nordnorwegens.
Kurz nachdem wir Ørnes verlassen haben und das Wetter wieder lieblicher wird, hat Johan auf dem Sonnendeck Eis, Aquavit und Lautsprecher aufgebaut: Die Gewinnerin der Polarkreiszeremonie wird verkündet, die Schätzung lag nur 8 Sekunden neben der offiziellen Zeit von 7:54:24.
Vor der Preisverleihung muss natürlich noch Njørd herbeigerufen werden – diesmal kommt er von den Whirlpools auf Deck 6 zu uns herauf. Die Gewinnerin kriegt eine Hurtigrutenfahne und die erste Portion Eis in den Nacken, danach wird jeder getauft, der will – zuletzt und mit dem ganzen Rest auch noch das neueste Crewmitglied.
Kaum ist das erledigt, steht der nächste Termin an: Um 11 Uhr kommt der Polarkreisstempel auf Briefe (und anderes) – schließlich sind wir immer noch Postschiff und haben irgendwo einen Briefkasten, auch wenn die Post im nächsten großen Hafen an Land gebracht wird und so schneller ihren Empfänger erreicht.
Nach diesem Terminstress bleiben noch knapp zwei Stunden, in denen Peter und ich auf Deck 7 sind, Reiseleitersprechstunde mit Ausflugstipps, Buch signieren und ganz allgemein Gesprächen. In Bodø trennen sich unsere Wege: Er geht Essen, ich lasse das Mittagessen ausfallen (ein Kvik Lunsj langt) und gehe in den Ort.
Bodø erinnert mich immer etwas an Heilbronn: Eine Stadt, die im Krieg völlig zerstört und viel zu schnell wieder aufgebaut wurde. Es braucht etwas Zeit, um den Charme der Stadt zu entdecken; manche schaffen es nie…
Der Hafen selbst ist überraschend leer, auch die Gamle Salten liegt aktuell nicht in Bodø, sondern ein paar Häfen weiter. Schön, dass sie noch fährt, schade, dass ich sie heute nicht sehe.
Es gibt wie immer einige Baustellen im Ort, aber immerhin bleibt mir der angekündigte Starkregen erspart. Nach einem erfolglosen Besuch im Einkaufszentrum (meine gesuchten Bücher gibt es nicht) gehe ich einmal eine neue Strecke, am Hafen entlang zur Mole Richtung Yachthafen und dann zurück. Es gibt hier viele Neubauten, ein paar hübsche kleinere Häuser, und nicht viele Sehenswürdigkeiten – nur einen neuen Blickwinkel auf die Hochhäuser, die das Stadtbild prägen. Noch ein Blick in die Domkirche (hübscher als von außen, und sie hat Dienstag bis Freitag von 9-14:30 für Besucher geöffnet) und zum Nordlandmuseum, das gerade einen Anbau erhält, und abschließend ein Blick auf den Rathausplatz. Das Walross dort kommt mir auch neu vor…
Dann gehe ich zurück zum Schiff. Über die Bordsprechanlage kommt die Warnung, dass wir bis zu vier Meter hohe Wellen erwarten, was für den Durchschnittsgast jenseits der Komfortzone liegen dürfte, und dass es Anti-Seekrankheit-Mittel im Shop gibt. Na dann Prost…
Ich schnappe mir meinen Rechner und arbeite noch etwas vor, außerdem erhalte ich die endgültigen Vortragstermine – morgen früh steht der nächste an. Als wir den Leuchtturm Landegode passieren, gehe ich noch einmal raus. Eigentlich ist er ein schönes Fotomotiv; so können die Bergans-Sachen zeigen, was Wassersäule 20.000 bedeutet. Die Kleidung hält, nur fotografisch hat sich diese Dusche eher nicht gelohnt. Egal.
Die Passage über den Westfjord ist überraschend ruhig, das habe ich schon schlimmer erlebt. Es ist Bewegung im Schiff, aber recht gleichmäßig. Zum Abendessen um 18 Uhr ist der Speisesaal nicht ganz so voll wie üblich, wobei die Teilnehmer des Wikingerausflugs natürlich ebenfalls fehlen. Zumindest vorerst, während des Essens kommt die Durchsage, dass der Ausflug wetterbedingt ausfällt.
Und noch etwas später die Info, dass für die Passagiere, die in Stamsund aussteigen wollen, ein Transferbus ab Svolvær organisiert ist. Im Gegensatz zu Stamsund will unser Kapitän den Hafen nicht auch noch ausfallen lassen. Dafür kommt uns die Polarlys wenig später entgegen, die Svolvær gestrichen hat. Ich traue mich auf Deck – man sieht den Hub, den unser Schiff macht, aber es ist warm (15 Grad oder so) und kaum Wind. Genauer gesagt haben wir wohl Rückenwind, der nur etwas schneller ist als unser Schiff. Die Polarlys hat Gegenwind, da sieht das schon heftiger aus – da hätte ich mich wohl nicht an Deck getraut.
Verständlich, dass diese Schiffsbegegnung nicht durchgesagt wurde…
Svolvær erreichen wir etwas zu früh, aber bei dem Wetter verzichte ich auf einen Gang durch den Ort. Stattdessen leichte Panik: Keynote, mein Präsentationsprogramm, öffnet meine nächsten Vorträge nicht mehr. Aber ich kann sie auf das Handy übertragen, dort in Powerpoint umwandeln und so doch auf dem Mac wiedergeben. Keine Ahnung, was der Blödsinn wieder soll, aber immerhin kann ich so morgen doch arbeiten.
Nachdem wir Svolvær verlassen, kommt noch die Durchsage, dass der Halt am Trollfjord wetterbedingt gestrichen ist. Als ich um kurz nach elf noch einmal rausschaue, ist zwar pechschwarze Nacht, aber von Wind und Wellen ist nichts zu spüren. Naja, mache ich halt auch Feierabend und schreibe mein Blog. Für irgendwas müssen die bedeckten Nächte ja gut sein, auch wenn ich jetzt lieber was anderes machen würde…
Hallo,
….liest sich immer wieder schön…..
im November sind wir wieder “dran”…..das 3. Mal und schon sooo aufgeregt.
Gruß
Matthias und Elke