Jetzt sind wir im Norden, und langsam könnte das berühmte wechselhafte norwegische Wetter mal kommen – die Wolkendecke ist dicht und undurchlässig. Dafür kommen wir jetzt in den Bereich, in dem es Polarnacht gibt: Wir überqueren den Polarkreis, und Bodø, dass wie heute nachmittag erreichen, ist die südlichste Stadt, in der die Sonne im Winter zumindest einen Tag lang nicht aufgeht (wenn man Dinge wie die atmosphärische Refraktion mal beiseite lässt). Bei klarem Himmel gibt es trotzdem mehrere Stunden lang blaue Stunde und schöne Dämmerung; bei Wolken bleibt es grau in grau. Etwas kontrastarm, das ganze, wenn man an den Beginn der Tour in Ålesund zurück denkt. Mittlerweile ist die Polarnacht zwar auf dem ganzen Festland zu Ende, aber besonders lang kommt die Sonne immer noch über den Horizont – erst recht nicht, wenn da noch Berge im Weg sind.
Aber wie dem auch sei: In der Finsternis überqueren wir am frühen Morgen den Polarkreis, um 7:53:29 ertönt das Schiffstyphon, und ich habe bis heute nicht herausgefunden, welcher Teil des Schiffs dann den Polarkreis überquert. Wahrscheinlich der GPS-Empfänger… Jedenfalls passieren wir die Insel Vikingen, die dem Polarkreis am nächsten ist, und der Schiffsscheinwerfer strahlt die Kugel an – die Kameras klicken. Wie angekündigt hatten wir eine Viertelstunde Vorwarnung, um uns entweder einen Fotospot auf Deck 5 zu suchen oder das Expeditionsteam auf Deck 7 zu treffen. Man kann nicht alles haben: Bei Kjeungskjær Fyr gestern gab es auf Deck 7 wohl eine Muschelverköstigung, die an den Fotografen vorbei ging. Aber hier ist noch niemand verhungert, und auch nach der Polarkreispassage füllt sich das Restaurant zum Frühstück – gut, dass ich vorher wach war und in Ruhe frühstücken konnte. Stattdessen steht Reiseleitersprechstunde an, für Tipps und Tricks rund um die Reise.
Während es draußen langsam hell wird, versuche ich, aus meinen Bildern etwas mehr herauszuholen. Mit modernster Technik wird aus dem aktuell fast mystischen Nidaros-Dom ein perfekter Wintertag, und Kjeungskjærfyr mit Polarlicht vor den Wolken hat doch auch was.
Trotzdem gehe ich doch sehr davon aus, dass wir noch richtiges Polarlicht sehen werden und ich nicht mit Luminar bescheißen muss…
Als wir gegen 10 Uhr Ørnes für einen kurzen Stop erreichen, ist es bereits richtig hell (für gewisse Werte von hell), und auch bei bedecktem Himmel ist das Örtchen inmitten der schneebedeckten Berge einer der schönsten Häfen.
Und dann kann man gleich an Deck bleiben: Die Berge sind die perfekte Kulisse für die Polarkreistaufe. Wer das erste Mal den Polarkreis überquert (oder nicht genug kriegt), wird mit einer Kelle Eis getauft und mit einem Aquavit wieder aufgewärmt. Den Aquavit gibt es kostenlos, aber nur für die frisch Getauften.
Vorher muss aber noch Njørd gerufen werden: Nach anfänglichem Gemurmel klappt das mit dem Anrufen, und er kommt von Deck 6 – ob aus dem Meer oder dem Whirlpool, darf spekuliert werden. Nachdem er das Wasser aus seiner Tröte geschüttelt hat, eröffnet er die Zeremonie, der Gewinner des Polarkreiswettbewerbs wird ausgerufen und zuerst getauft.
Nun, ich habe das schon hinter mir und kann die Show genießen, bevor ich wieder nach unten auf Deck 4 gehe. Dort hat kurz darauf der Postmeister seinen Einsatz und stempelt Briefe und mehr mit dem Polarkreisstempel, bis das Mittagessen ruft – das ich mal wieder ausfallen lasse. Es muss ja nicht jedes Mal die Themenreise 11 Tage, 11 Kilo durchgeführt werden:-)
Kurz nach 13 Uhr erreichen wir Bodø, und das Wetter hält zum Glück: Die dicken Wolken regnen noch nicht ab, nur der übliche Wind begrüßt uns beim Gang in die Stadt. Vor der Einfahrt gibt es noch die Chance für einen Blick auf den Flughafen, der irgendwann verlegt werden soll – Bodø wächst und streitet sich gerade mit Tromsø um den Titel der größten Stadt Nordnorwegens. Bodø führt, wenn man sich auf das Stadtzentrum konzentriert, weil Tromsø als “Paris des Nordens” mehr Geschäfte im Stadtzentrum hat, während in Bodø bei fast jedem Besuch ein neues Hotel in der Stadtmitte steht.
Da Bodø im Krieg fast völlig zerstört wurde, ist es heute eine sehr moderne Stadt, in der die Architekten immer wieder zeigen, dass mit modernen Baumethoden keine schönen Gebäude möglich sind – man braucht ein paar Besuche, um die schönen Ecken oder den Charme der Stadt zu finden. Immerhin: Die Gamle Salten liegt immer noch vor Anker; Schiffe dieser Generation fuhren einst als Postschiffe auf der Hurtigrute.
Ich schließe mich Arno beim Gang in die Stadt an, und klinke mich dann für einen Abstecher ins Einkaufszentrum aus. Vorher ging es noch in den Dom, der von Innen wesentlich hübscher ist als von Außen, und zur Gamle Salten. Dann gehe ich noch einmal zurück in den “Solparken” zwischen Dom und Rathaus, um Kirche und Rathaus mal von einer anderen Perspektive aufzunehmen. In der Verlängeurng der Straße liegt dann auch das große Aurora-Wandgemälde. Street Art ist gerade in den Seitenstraßen Bodøs weit verbreitet.
Danach geht es zurück zum Schiff, ich habe alles in Reichweite gesehen. Irgendwann mache ich vielleicht doch mal den Ausflug zum Saltstraumen mit, dem größten Gezeitenstrom der Welt. Vorher muss ich aber schauen, wie die Gezeiten gerade sind.
Diesmal wurde übrigens gar nicht auf das Luftfahrtmuseum in Bodø hingewiesen, zu dem ein Shuttlebus fährt – das ist zwar kein Hurtigrutenausflug, aber durchaus sehenswert: Zwei große Hallen mit zivilen und militärischen Flugzeugen.
Die Festung auf der anderen Seite des Hafens würde mich auch einmal interessieren, aber bis dahin ist es gut eine Stunde einfacher Weg – das langt nicht.Dafür fällt mir erstmals auf, dass der Funkturm oberhalb von Bodø in verschiedenen ständig wechselnden Farben beleuchtet wird.
Nach dem Ablegen präsentiert sich die Stadt noch einmal als Lichtermeer in der Dunkelheit – aus der Ferne ist Bodø hübsch. Von dem Leuchtturm Landegode Fyr ist leider nichts zu sehen – als wir den erreichen, ist es bereits finster. Nur am Wellengang merkt man, dass wir nun den Westfjord überqueren. Rund zwei Studnen ist eine gleichmäßige Bewegung im Schiff. Um die drei Meter hohe Wellen sind angesagt, die das Schiff beid er aktuellen Dünungsrichtung aber gut schluckt.
Die Überfahrt ist ereignislos – es gibt vom Expeditionsteam interessante Vorträge über Polarlicht (nichts neues, zum Glück) und arktische Lichtstimmungen, währenddessen bastel ich noch ein wenig an meinem eigenen Vortrag morgen früh. Als wir uns den Lofoten nähern, wird die See ruhiger, und das Gathering mit dem Expedition Team ist ganz gut besucht – es gibt Bilder von der Polarkreiszeremonie zu sehen.
Dann gibt es Abendessen für alle, die nicht in Stamsund aussteigen, um am Wikingerfest teilzunehmen – die kriegen dort zu essen und steigen in Svolvær wieder ein.
Von den mächtigen Bergen hinter Stamsund ist nichts zu sehen, dafür regnet es. Das macht ja Hoffnung für Svolvær…
Ich habe noch einmal Kontakt mit der südgehenden Hurtigrute, die wir kurz vor Svolvær treffen. Wir verabreden uns zum Winken und geben bei leichtem Schneetreiben Lichtzeichen, während die Schiffe einander ebenfalls mit Lichthupe und Festbeleuchtung begrüßen.
Vor der Hafeneinfahrt von Svolvær grüßt die Statue für die Fischersfrauen, von der wieder einmal wenig zu sehen ist: Sie steht auf dem Leuchtfeuer an der Hafeneinfahrt, das die Statue überstrahlt. Trotz aller Beleuchtung in Norwegen: Die Statue liegt im Dunkeln.
In Svolvær wird aus dem Schnee wieder Regen, aber für einen kurzen Gang durch die Stadt langt es. Einen Blick auf die Rørbua-Häuser der Scandic-Hotels werfen, und feststellen, dass unsere Stammkneipe, der Anker, erst am 3. Februar wieder aufmacht. Da wird wohl noch einmal Kraft geschöpft, bevor die Fischsaison los geht, und ab Februar Stockfisch gemacht wird. Schade. Dafür entdecke ich auf dem Rückweg erstmals bewusst die kleine Statue für den Jack Berntsen, den “Troubadur des Nordens” am Hafenbecken, kurz vor dem Bacalao-Restaurant.
Einen Programmpunkt gibt es noch, nachdem wir Svolvær um 22:15 verlassen: In knapp einer Stunde erreichen wir den Raftsund, auf Deck 7 erwarten uns Fiskekake und Trollknert (der schon den ganzen Tag im Vorverkauf ist – die neuen Tassen sind immerhin hübscher als die Porzellantasse, die ich noch von 2014 habe) und eventuell eine Fahrt zur Mündung des Trollfjords.
Kurz vor 23 Uhr kommt dann allerdings die Durchsage, dass der Trollfjord wegen des Wetters ausfällt – kein Wunder, es schneegraupelt und ist einfach nur unangenehm. Dementsprechend wenige holen sich einen Fiskekake als spätes Abendessen, und ich mache auch zeitnah Feierabend. Bei dem Wetter ist nichts vom Raftsund zu sehen, außer eventuell Positionslampen für die Fahrrinne.