Island hat im Dezember echte Vorteile: Man kriegt zwar vielleicht kein Abendessen, aber dafür kann man am nächsten Morgen ausschlafen – früh aufbrechen bringt eh nichts, wenn es frühestens gegen halb zehn zu Dämmern anfängt. Und da es an diesem Morgen weniger Regen gibt als vielmehr “Wasser mit Schlitzen drin”, wirkt das Hotel sogar beinahe reizvoll…
Trotzdem heißt es irgendwann Aufbruch, und bis wir kurz vor zehn Stykkishólmur erreichen, hat es sogar aufgehört zu schütten. Island hat ja einige kreative Kirchen, und die dieses 1000-Einwohner-Ortes gehört auch dazu: Ein moderner Bau, der trotzdem nicht schlecht aussieht. Für 11 Uhr ist eine Messe oder ein Konzert geplant; wir nutzen die Gelegenheit, um einen Blick ins Innere zu werfen. Der Pfarrer scheint auch der einzige zu sein, der an diesem Sonntagmorgen außer uns in dem Ort unterwegs ist.
Der nächste Halt ist die steile Insel Súgandisey mit dem kleinen Leuchtfeuer über dem Ort, die über einen Damm mit Stykkishólmur verbunden ist, gefolgt vom Hafen, an dem es viele hübsche, alte Häuser gibt, sowie die Skulptur eines Segelboots. Nettes Örtchen.
Unter den Wolken ist am Horizont sogar ein helles Schimmern zu erkennen. So richtig klar wird es heute zwar nicht, aber immerhin hält sich der Regen für den Rest des Tages zurück. Die Rundfahrt über die Halbinsel Snæfellsnes beschränkt sich daher nicht auf ein paar Fotos aus dem Auto heraus, sondern lohnt sich.
Die Route führt erst einmal weit nach Westen, zum Saxholl. 390 Stahlstufen führen zum Rand dieses Kraters hinauf; und oben ist das Wetter bald angenehmer als an seinem Fuß. Ich wüsste ja schon gerne, wer die Idee hatte, eine Treppe auf einen Vulkan zu bauen – aber sie läuft sich ganz gut, und oben ist es zwar windig, aber man kann es durchaus einige Zeit aushalten. Und trotz der tief hängenden Wolken lohnt sich der Ausblick auf die wilde Landschaft. Vom Snæfellsjökull ist aber nichts zu sehen, auch wenn man ihn über den Kraterrand anpeilen kann.
Und weiter gehts zum nächsten Halt: Der Bucht von Djúpalónssandur. Hier liegen in einer unwirtlichen Lavalandschaft die Reste eines Fischerboots, das 1948 verunglückte, ebenso wie einige große Steine, an denen die Fischer früher ihre Stärke beweisen konnten.
Etwas im Inland liegt ein kleiner See versteckt, und das Meer, das gegen die Felsen brandet, gibt einen Eindruck davon, wie gefährlich die Seefahrt sein kann. Mit einem Wikinger-Langboot wollte ich hier wirklich nicht unterwegs sein…
Auch diese Küste ist wieder ein schwarzer Lavastrand, die einzigen Farbtupfer sind die rostigen Überreste des Fischkutters Epine, die mittlerweile unter Denkmalschutz stehen. Es ist beeindruckend, wie weit die Stahlteile im Landesinneren liegen. Was für Kräfte waren hier am Wirken!
Noch beeindruckender und unwirklicher finde ich aber immer wieder die moosbewachsenen Lavafelder, die die Landschaft prägen.
Entlang der Küste geht die Fahrt weiter. Die Höhle von Vatnshellir ist geschlossen (im Mai waren wir kurz nach Einlass vorbeigekommen und hatten sie daher ebenfalls nicht besucht), erst bei den Felsnadeln von Lóndrangar steht wieder ein Halt an. Die Beobachtungsplattformen haben wir für uns alleine; es sind zwar noch ein paar wenige Touristenbusse unterwegs, aber im großen Ganzen haben wir unsere Ruhe – auch, weil die Busse die Fahrt in der umgekehrten Richtung machen.
In Arnarstapi wird getankt, bevor es an der imposanten Statue von Bárður Snæfellsás vorbei zur Küste geht. Bárður soll einer der ersten Siedler in der Gegend gewesen sein, bärenstark, zauberkundig und unbeherrscht. So tötete er seine beiden Neffen, da diese nicht auf seine Tochter aufgepasst hatten – einen der beiden stieß er in die Schlucht Rauðfeldar. Nach dieser verschwand er im Snæfellsjökull.
Unser Weg führte nicht zum Berg, sondern an die Steilküste. Der Wind war schwach genug, um einen Drohnenflug zu wagen, aber den Akkus war es zu kalt – hier und heute also kein Start, sondern nur landgestützte Fotos. Auf dem Rückweg kam dann sogar die Sonne hervor: ein ungewohnter Anblick!
Ein kleines Stück nach Anarstapi erwartete uns das nächste Ziel, das wir letztes Mal übersehen hatten: Die Schlucht Rauðfeldar. Hier tötete Bárður einst seinen Neffen Rauðfeldur, seitdem heißt die Schlucht nach ihm.
Der Weg hinauf ist etwas versteckt, aber es lohnt sich: Die schmale, tiefe Schlucht oben am Berghang betritt man durch einen kleinen Bach, der irgendwo aus dem Bergesinneren kommt. Ein schönes kleines Versteck, in dem schon so mancher Vogel gestorben ist, wie die Gerippe am Boden der Schlucht zeigen.
Allzu tief kommt man nicht in den Berg – aber weiß, welche Geheimnisse in seinem Inneren schlummern? Jedenfalls bietet sich von Rauðfeldar auch ein großartiger Ausblick auf das Land.
Während die Sonne langsam hinter den Wolken untergeht, haben wir nur noch ein Ziel: Die schwarze Kirche von Búðir. Wo heute nur die Kirche, ein Friedhof, ein Hotel und besagte Kirche stehen, war wohl noch bis etwa 1930 ein wichtiger Handelsplatz. Heute steht die Kirche recht einsam da (wenn nicht gerade ein Bus Touristen vorbeibringt). Auch hier sollte man es nicht vergessen, einen Blick auf die Landschaft zu werfen.
Die Kirche selbst wurde 1848 gegen den Willen der Geistlichkeit errichtet, aber mit königlichem Segen. Heute ist sie eine der ältesten Holzkirchen Islands. Sie war bei unserem Besuch abgeschlossen, aber ein Blick durch’s Fenster war möglich. Auf dem Friedhofen leuchteten wieder beleuchtete Kreuze vor den eigentlichen Grabkreuzen.
Anschließend ging es praktisch Non-Stop nach Reykjavik, zu unserem nächsten Hotel und – für manche ganz wichtig – einer reichhaltigen Auswahl an Restaurants. Nach der samstagabends ausgestorbenen Snæfellsnes-Halbinsel ist die Hauptstadt ein echter Kulturschock: Sogar am Sonntag haben die Läden offen! Da es gerade nicht regnet, nutzen wir die Chance für einen Stadtbummel, gehen Essen (Rentierburger) und anschließend noch auf Fototour Richtung Harpa, dem Konzerthaus.
Reykjavik hat ein beeindruckendes Nachtleben, gerade für Sonntagabend, und ist mehr als nur einen Besuch wert. In den Souvenirläden werde ich trotzdem nicht fündig, genauso wenig wie in den Buchhandlungen. Isländisch will ich nicht auch noch lernen, und fremdsprachige Bücher sind etwa dreimal teurer als bei uns. Nichts dagegen, die skandinavische Wirtschaft zu fördern, aber irgendwo ist dann doch Schluss.
Also bleibt es bei Fotos. Die Harpa wirkt bei Nacht imposanter als bei Tag: Die Beleuchtung wechselt ständig; eigentlich sollte man hier filmen statt zu fotografieren. Ich bleibe trotzdem bei ein paar Langzeitaufnahmen, bevor es weiter zum Sólfar geht, dem “Sonnenfahrer” – der berühmten Skulptur eines Schiffs. Anschließend geht es über die Hallgrímskirkja zurück zum Hotel – Akkus aufladen und den Tag ausklingen lassen. Mit einer vollen Kreditkarte müsste man sich die Stadt mal ein paar Tage lang anschauen, aber so hat alles seine Grenzen…